Mittwoch, 10.08.2005

Glenn Ford

Ich erinnerte mich an Glenn Ford. Wenn er auf sein Pferd steigt vor dem Saloon und die Bedienung noch einmal heraustritt, und ein Gespräch beginnt zwischen den beiden, und Glenn Ford sagt zu ihr, sie seie skinny, und dann fragt er sie, ob es hier viele junge Männer gebe und dann steigt er auf sein Pferd, und sein Körper bleibt dabei ganz gerade und gespannt und wie er so auf das Pferd steigt ist das eine klare und eindeutige Bewegung mit seinem nach oben gerichteten, gespannten Oberkörper. Der Film zeigt das ganz genau und wie um es noch einmal zu unterstreichen läßt er dann den Trunkenbold der Stadt auf die Straße, um die Banditen zu verfolgen und er zeigt dann diesen Trunkenbold und dessen Art auf ein Pferd zu steigen: viele und mühevolle und immer wieder unterbrochene Bewegungen: so ein Pferd ist groß und der Trunkenbold hangelt sich ungelenk auf dessen Rücken. Dann sieht man ihn wegreiten und Glenn Ford steigt von seinem Pferd hinunter und geht mit der Frau zurück in den Saloon.

Freitag, 05.08.2005

Polen

I.
Eigentlich waren wir wegen des quietschenden Vorhangs vor der Leinwand in den Badeort gefahren. Und wegen des amerikanischen Mainstream-Programms, das man in dem um diesen Vorhang herumgebauten Kino mit halb- oder einjähriger Verspätung nachholen konnte. Ganz relaxt nach einem Strandtag, um den Sonnenbrand runterzukühlen. Letztes Jahr saßen wir da fast jeden Abend auf realsozialistischen Klappsitzen und sogen den Geruch von Reinigungsmitteln ein, der mich an die Jungendherberge in Dresden 1991 erinnerte. „Something’s gotta give“, „Stepford Wives“, „Twisted“, der auf polnisch „Amnezja“ heißt und damit das Entscheidende gleich mal vorneweg verrät (wie mir ein Spanier 1998 in Paris erzählte, dass „Psycho“ in Portugal unter dem Titel „Die Mutter war er“ gelaufen sei).
Dann, ein Schock, war das Kino abgerissen und keiner wollte davon gewusst haben: Die Touristeninformation, das „Cinema-Café“ an der Strandpromenade, der Alte mit dem ausgeblichenen LOVE-Tattoo auf dem Arm, der uns das Zimmer vermietet hatte: Fehlanzeige. Wobei dieser Alte nochmal eine Nummer für sich war: Als wir die Rucksäcke auf dem Bett abgestellt hatten, zeigte er auf S., sagte mit rollendem r „FRAU“ und bedeutete ihr, mitzukommen. Als sie zwei Minuten später zurück war, hatte er ihr den Kühlschrank, den Herd und das Bügelbrett gezeigt. Wie Robert Mitchum sah er aber nicht aus.

II.
Abends im Zimmer, draußen bellen die Hunde: Kleines Fernsehspiel im noch kleineren Fernseher; 36 cm gefühlte Bildschirmdiagonale. Richy Müller ist ein traumatisierter U-Bahn-Fahrer, der sich nach ihrem Tod mit der vor seinen Zug gesprungenen Nicolette Krebitz anfreundet. Die beiden fahren nachts zusammen Auto, sie überrascht ihn auf der Big Lebowski-Gedächtnis-Bowlingbahn. Einmal sitzen sie auf dem Dachboden und reden über das Glück. Krebitz spielt die Tote sehr lebendig, Richy Müller trägt meist einen fünf Maschen zu norwegischen Norwegerpullover und einen braunen Mantel mit Fellbesatz am Kragen. Zuviel Kostüm, zuviel Ausstattung, zuviel Kamera, und dann noch alles mit so einem dezenten Understatement gefilmt. Die Kamera ist fast immer in langsamer Bewegung, Abtastungen, zwischendurch, TRAUMA, schickt sie uns im Zeitraffer durch die U-Bahn-Röhren. Dafür gab’s einen Kamerapreis, lese ich später, als ich wieder zurück in Berlin bin. Statt einmal kurz durchs Bild zu rennen, hat der Regisseur seinen Namen oben als Fahrtziel in die Tafel über dem Führerhäuschen geschrieben. Rohdestrasse, der Zug endet hier, bitte alle aussteigen.

III.
Am Strand erscheinen manchmal Nachrichten auf dem Telefon. Drei Tage nach der Ankunft zum Beispiel eine von O2. Willkommen, ich könne jetzt im „era“-Netz telefonieren, was ich seit drei Tagen mache. M. schickt kurze Neuigkeiten aus Berlin. Ein paar Texte seien schon angekommen, ein sehr schöner zum Beispiel, in dem der wunderbare Satz steht: „Das Messer klappt zufrieden auf.“

IV.
Der Kino-Abriss hatte uns kurz befürchten lassen, zu wenig zum Lesen dabei zu haben: Komischerweise kann man hier, wo es touristischer kaum sein könnte – mit Rummelplatz, Fressbuden noch und nöcher und einem muskelbepackten Trike-Fahrer, der seine Maschine abends an der Promenade hinstellt und sich daneben -, nirgendwo eine Zeitung kaufen, geschweige denn eine deutschsprachige (dabei sind wir nur 15 km von der Grenze entfernt).
M. hatte mir zwischendurch immer mal wieder Ross Thomas-Romane zugesteckt, wenn er welche auf dem Flohmarkt fand, aber ich hatte nie den Moment gefunden, einzusteigen. Jetzt bin ich froh, zwei Tage mit Artie Wu und Quincy Durant verbringen zu können und mit Thomas‘ lässigem Wissen von Geschichte, Erzählökonomie und Plotverquirlung. Dann das Mitchumdings von Althen, ein Auftragsjob, wie’s scheint. Aber das Buch des Jahres ist für mich Lethems „Fortress of Solitude“. Die Lust, das Buch in die Hand zu nehmen. Der Wunsch, dass es noch dicker sein sollte. Die Verlangsamung des Lesetempos am Ende, damit es nicht aufhört. Die letzten Seiten in der S-Bahn nach Berlin.

Mittwoch, 03.08.2005

Les triptyques de Claude Sautet

Paratexte deutschen Films

Zwar ist es nicht wahr, wie Michael Althen in der FAZ vom letzten Samstag behauptet, daß Patrick Modiano irgendetwas mit Antonioni zu tun hat; weniger falsch (wenn auch nicht richtig) ist es allerdings, den FAS-Autor Georg Diez als den Patrick Modiano seiner Generation (seines, dieses, Landes?) zu bezeichnen.

Könnte das Kriterium lauten: Wieviel Sepia, wieviel Melancholie, wieviel Weichzeichner, wieviel skeptische Reserve (wieviel–: Biedermeier??) schlägt die Stunde?

Sicherlich, Modiano ist mehr Vergangenheit, schaut weiter zurück, kommt ernster aus der Tiefe (bei all der, wie sagen die Fans, „schwebenden“, „duftenden“, sagen sie, „Leichtigkeit“ … sagen wir- Kitsch?); Diez ist mehr Gegenwart, aber in einer eigentümlichen, verhalten elegischen Distanz (souverän, formulierungssicher, mehr beobachtend als urteilend (solang der Unterschied gilt), scheinbar erwartungslos, spät – „spät“, wissen Sie, in diesem mehrdeutigen Sinne, das nicht antiquiert, anachronistisch heißen muß? es kann früh spät sein, usw.).

Das Raffinierte (warum es nicht zugestehen?) an Diez ist allerdings, daß die Attitüde des leicht verblasen-bornierten, wenn man so will neo-bürgerlichen Post-Pop-SZ-Mag-FAS-bystanders konterkariert wird von der genauen Beschreibung: In diesem Sinne wirkt die alarmistische Rassismus-Diagnose Christian Füller’s gestern in der taz wie ein komischer Abwehrreflex: Selbst wenn Diez manch eine ethnisch-soziale Demarkation (Migrantin/Nicht-Migrantin) entgangen sein sollte, macht er das wett durch ein mimetisches Punktieren der wirklichen sozial-affektiven Situation. „Privatistisch“ ist ja nicht Diezens Blick, noch seine Schlußfolgerung: „privatistisch“ sein oder werden ist ein Effekt der „sozialen Absturzängste“ von „Mittelklassemüttern und -vätern“. Diese Unsicherheit im „Spätsommer“ (welchen Jahres?) zu registrieren ist dann von bübchenhafter Larmoyanz verschieden, wenn ineins damit benannt wird der „gesellschaftlich konservative, ästhetisch rückwärtsgewandte, wirtschaftlich ratlose und politisch diffuse“ Kontext. Klarer als in manchem taz-Artikel (s. dazu Diederichsen, allerdings auch in der gestrigen taz) wird den Merkel-Boys die Zwischenbilanz, ihre Ausgangslage vorgelegt („eine aus der Zeit gerutschte, lebenslaufarme Generation, die vor allem funktionieren will“).

Aber gibt es denn nicht andere als „Mittelklassemütter und -väter“? Andere auch als Mütter und Väter? Wird hier nicht geredet aus der (rest-?)privilegierten Perspektive des längst (schon oder noch) Arrivierten? Vielleicht. Und wenn. Man nehme es als den Blick der Mittelschicht auf sich selbst in dem Augenblick der Bedrohung und ihres Eintritts in ein soziales Gleiten. Die diagnostische Empfänglichkeit hierfür, und deren stilistische Überformung, Überzeichnung ist es, was Diezens Texte auszeichnet.

Im übrigen scheint das auch Füller zu spüren, der vielleicht nicht zuletzt stilistisch sich provoziert fühlt und prompt selbst ein paar gute Momente hat: „Später verschafft sich Streifenpolizei Überblick.“ Könnte man fragen, wie ein solcher Satz in Film aussähe, etwa im Sinne Barthes‘: der Satz/die Einstellung, der Text/der Film? Könnte man sagen: das Politische in einem zeitgenössischen Film liesse sich ablesen daran, wie ein solcher Satz umgesetzt, ‚aufgelöst‘ wird? Wolffs Revier vs. – was? (Und natürlich hiesse es im Script von Wolffs Revier eher: „Später: Die Streifenpolizisten verschaffen sich einen Überblick.“)

Schreibt dagegen Diez: „Ein wenig wie die Treppe der Villa Malaparte in Godards Verachtung, nur als Plattenbau.“, so kann man sagen: das ist der Beitrag zur Musealisierung der Avantgarde im eloquenten Zitat, dessen reale Kehrseite ist, daß Godard(-Premieren) in Berlin-Mitte (in Deutschland?) wohl nurmehr im pirate cinema stattfindet(n). Aber solch zitierende Vergleiche können wohl sowieso nicht ohne eine gewisse Reife (Sterilität?), auftauchend aus der modiano-esk verschwommenen Atmosphäre kulturellen Humidors.

In einem älteren Text vergleicht Diez Iñárritu’s Amores Perros mit Jean Echonoz‘ Roman Die großen Blondinen, der gewisse Beziehungen zum Film- und Fernseh-Imaginären unterhält. Hier versucht Diez die Ungleichzeitigkeit der Rezeption von 2000er-Film und verspäteter Mitt-Neunziger-Roman-Übersetzung zum diagnostischen Vorteil zu wenden – landet allerdings bei der schalen Verabschiedung bloß spielerischer Postmoderne zugunsten krachiger, weil böser Wirklichkeit. Diez ließe sich hier also noch unter einem symptomatischen yearning for authenticity ablegen – und kassiert prompt ein sich Vertun im Geschmack (natürlich ist Echenoz‘ Buch besser als Iñárritu’s Film).
Schade, daß Diez statt des ‚ernsten‘ Iñárritu nicht den Vergleich zum, anders ernsten, späten Sautet gezogen hat; speaking of Mittelschicht, hätte ich das interessanter gefunden.

Derweil war im deutschen Fernsehen Tom Tykwer zu sehen – in seiner Rolle als Produzent des Films Underexposure, dessen irakischer Regisseur der wunden Seele Bagdads nachgehen will; Irak, U.S., Krieg – klar: Tykwer, der sich laut Selbstauskunft als politischer Regisseur versteht, hat jüngst bei der Polar-Präsentation in den KunstWerken auf Nachfrage das Politische im Film ausgemacht in Werken von: Godard! (s.o.), auch: Weingärtner (s.u.)!

Folglich: gäbe es (das wäre was!) in diesem Jahr einen Film Deutschland im Herbst 2.0, würde ich gerne eine G. Diez-Episode darin sehen – und leichthin auf die von Tykwer verzichten, der dann ja ohnehin in der Provence für Eichinger’s Das Parfum (als Untergang-Sequel? Modiano-Untertitel: „Wie sich der Staub senkte und der Duft zurückkam – aus welcher Zeit?“) dreht. Erwarten würde ich mir davon ein Ausagieren, Ausbuchstabieren gewisser Blicke, Differenzen (nicht Vision, Modell, Leitbild), die, beobachtbar gemacht, dann andere Dinge sehen liessen – anders dann, Kritik, das geht doch so, nicht wahr?

—das Ganze im Grunde bloß ein McGuffin für die Bilder (schlecht abfotografiert letzten Mittwoch von der WDR-Mattscheibe) . . . :

TV-Tipp: Heute abend, 23.15-00.35h, WDR, Sautet-Porträt:
N.T.Binh, Claude Sautet oder die unsichtbare Magie/Claude Sautet ou la magie invisible, Frankreich 2003

Sonntag, 31.07.2005

langtexthinweis

* Bahram Beyzaie: Travellers (Mosaferan; Iran 1992), von Ekkehard Knörer

Samstag, 23.07.2005

Neulich, abends, im Arsenal

Perfect Film (Jacobs, 1986): Jacobs kannte ich als analytischen Zergliederer von gefundenem Material, der „Tom Tom the Pipers Son“ verlangsamt, beschleunigt, in ihn reinzoomt, das Schwein der reimenden Zeile „stole the Pig and away he ran“ sucht und Billy Bitzers burlesken Kurzfilm 90 Minuten lang seziert. Hier hat er etwas gefunden, das für sich genommen perfekt ist: Ausschussware eines Fernsehsenders mit Zeugeninterviews unmittelbar nach der Ermordung von Malcolm X. Hinter dem schwarzen Augenzeugen, in dessen souveräner Aussage die Historizität des Augenblicks schon mitgedacht ist, springt ein Junge hoch, der im Bild sein will, links daneben glotzt einer debil. Zwischendurch ringt die Kamera nach Bildern. ++++ Now! (Alvarez, 1965): Wenn man jeden Anfang von etwas daran misst, was später daraus geworden ist, hat kaum ein Film eine Chance zu bestehen; außer denen, die keine Nachfolger gefunden haben. Natürlich kann man sagen, dass Alvarez‘ Art, das schwarz-angeeignete „Hava Nagila“ zu Fotos und Sequenzen von Akten schwarzer Unterdrückung zu schneiden, jeden Schnitt auf eine Betonung des Rhythmus‘, adaptierbar war und leicht zu vereinnahmen. Dass heute jede Jeans-Werbung so funktioniert. Dass also in diesem Beginn schon das ganze Elend der universellen Verwertungslogik zu erkennen ist. Dass sich die Korrumpiertheit wie eine Doppelbelichtung über das Unkorrumpierte legt. Muss man aber nicht. Zum Glück. ++++ Rohfilm (Hein / Hein, 1968): Nach ein paar Minuten Noise-Terror und Bildgeflacker schweifen meine Gedanken ab zum Verhältnis von Epilepsie und Experimentalfilm: Ganze Kontinente der Avantgardefilm-Weltkarte müssen einem Epileptiker unzugänglich bleiben, weil Stroboskopeffekte ja bekanntlich epileptische Anfälle auslösen können. Idee für einen Horrorfilm: Ein Flickerfilmfan stellt plötzlich fest, dass er unter Epilepsie leidet. Er wird zum Terroristen, der Experimentalfilme macht, die einzig darauf aus sind, den Zuschauer bestialisch zu quälen. Nach dem Film erzählt B., dass einer der bekanntesten Filme von Paul Sharits „Epileptic Seizure Comparison“ heißt und medizinische Aufnahmen von zwei Epileptikern gegenüberstellt. Den hätte ich lieber gesehen als die Heinsche Fingerübung in Destruktionsterrorismus. ++++ Report (Conner, 1963-1965): Kennedys Ermordung hat neben viel Verstörung und noch mehr Verschwörungstheorie auch einen Kosmos von Bildern und eine Kakophonie von Stimmen produziert. Conner montiert einen Teil dieser Bilder und Töne, lässt sie in Vorlaufband auslaufen und bringt sie auf spezifische Art zum Stolpern. Beschwörend kehrt er immer wieder zum Tatort zurück: Wie die Limo mit J.F. und Jackie von der Dealey Plaza in die Elm Street einbiegt, das Winken. Conner vervielfacht das Material, aber er nimmt immer hinten ein paar Bilder weg und setzt sie vorne wieder dran: Wie ein Auto mit kaputtem Anlasser ruckelt die Sequenz vorwärts in den Tod. ++++ Mass for the Dakota Sioux (Baillie, 1963-64): Gern auftretendes Vorurteil: Experimentalfilme sind anstrengend und machen sich einen Spaß daraus, den Zuschauer zu malträtieren. Ab und zu finden sich Vorurteil und filmische Realität in erstaunlicher Kongruenz (vgl. „Rohfilm“). Baillies Film allerdings unterzieht das Cliché einer nachhaltigen Kur. Als breite man eine fast durchsichtige, leichte Decke über einer zweiten, ebenso leichten Decke aus. Als flatterten beide im Wind und produzierten in der Überlagerung etwas Neues. Amerikanische Landschaften, ein Toter, der zu Beginn auf dem Bürgersteig liegt und am Ende in einem Oldtimer abgeholt wird. Dazwischen sachte Überblendungen, eine kristallklare Kopie, und, ja, man darf wohl – zumindest kleingedruckt – sagen: anmut. ++++ Intolerance (abridged) (Lawder, 1960) : „Recommended for all students of filmmaking and film history“, wird Lawders Film im Katalog von Canyon Cinema beschrieben. „Especially for those who don’t have the time“, könnte man hinzufügen, denn Lawder hat Griffith‘ Monumentalepos respektlos beschleunigt und damit auf zehn Minuten gekürzt. Ein Film für die durchlauferhitzten Bachelorstudenten der Zukunft. Trotzdem sind die Wechsel zwischen Totalen und Großaufnahmen, die Montagerhythmen, auch das völlig Irrsinnige in der Dreifachgeschichte von Babylon, Mittelalter und Moderne auch in der Kurzfassung noch greifbar. Wenn ein Film das überlebt, muss er so übervoll sein, dass noch das Extrakt nach was schmeckt. Eine der Wiegen des Kinos. ++++ Lettre d’un cinéaste (Akerman, 1984): Was man alles tun muss, um einen Film zu machen: aufstehen, Leute treffen, essen, vor allem Berge von Papier produzieren, Klamotten aus dem Kleiderschrank fischen, sich von den Produzenten antatschen lassen usw. So was Ähnliches hatte auch Hellmuth Costard ein paar Jahre früher als „kleiner Godard“ an das Kuratorium junger deutscher Film geschrieben und versucht, das franko-schweizerische Vorbild ins Boot zu holen. Costard forderte die dilettantische Professionalisierung von Super 8, um weniger schreiben zu müssen und mehr machen zu können. Akerman bleibt zuhause, tut sich zusammen mit Aurore Clément und macht diese Studie über das Wie-man-einen-Film-macht. Postgodardsche, weiblich umcodierte Autonomiefiktionen. ++++ PPI (Serra, 1986): Von „PPI“ habe ich kaum Bilder behalten können. Kurz ist der Film und kurzweilig, aber wie genau? Wellen, die ans Ufer schlagen, etwas Quietschbuntes, einen Augenblick lang. Meine Irritation, aus welcher Zeit diese Bilder kommen? Der Film wurde im Arsenal als Auftakt für eine Reihe von Statements über das Kinomachen im Jahr 2005 gezeigt. Manchmal klang das wie ein in die Zukunft gesprochener Rechenschaftsbericht. Ich stelle mir vor, dass das für die Ohren von kürzungswütigen Rotstiftpolitfunktionären gedacht war und hier ein Publikum fand, das sich solchen Rotstiftpolitfunktionär in Zukunft entgegenstellen soll. Um ihnen den Rotstift aus der Hand zu schlagen. ++++

Dienstag, 19.07.2005

A Slice of Life

Nothing is visible without light.
Nothing is visible without a transparent medium.
Nothing is visible without boundaries.
Nothing is visible without colour.
Nothing is visible without distance.
Nothing is visible without instrument.
What comes after this cannot be learned.

Nicholas Poussin, 1665

[zitiert nach: Sean Cubitt: The Cinema Effect. MIT Press 2004, S.42].

Montag, 18.07.2005

fernsehhinweis

Malerei heute, von Stefan Hayn und Anja Christin Remmert, D: 1998-2005

3sat , 18. Juli, 23:10 Uhr

*

Dass dieser Film heute zu sehen ist, entnehme ich der website von shomingeki. Darauf geschaut habe ich, weil ich die neue shomingeki, Nr. 16., durchblättere, die gerade erschienen ist. Auf dem Umschlag des Heftes ist die Reproduktion eines der Aquarelle, die in dem Film zu sehen sind. Ich entnehme diese Information aus dem Text von Johannes Beringer über den Film, mit dem die Ausgabe einsetzt. Das Inhaltsverzeichnis der Ausgabe findet man im Netz. Auf der website finde ich zudem die Information, dass die Inhalte der vergriffenen Ausgaben von shomingeki online archiviert sind. Dieses Archiv umfasst die Texte der Ausgaben 1 bis 5, die zwischen November 1995 und Frühjahr 1998 erschienen sind. Diese Texte sind lesenswert.

Samstag, 16.07.2005

Fernseh-Hinweis

Morgen abend, 17.7., um 21.15 Uhr auf 3sat:
Die Hochzeitsfabrik, Dokumentarfilm von Aysun Bademsoy, Deutschland 2004.

Wenn eine Frau „gestohlen“ wird, also gegen den Willen ihrer türkischen Eltern heiratet, sind die Hochzeitsfeiern klein: „300, 400 Gäste“, sagt der Chef des Kreuzberger Unternehmens, das die Dokumentation des Tages übernimmt. Sein Team ist mit drei Kameras auf rollenden Stativen unterwegs, an deren Kabelsalat die Essenswagen angehoben werden müssen. Ein anderer macht Fotos, retouchiert am Rechner die Narben des Bräutigams und bastelt einen abenteuerlich kitschigen Hintergrund dahinter. Der Adorno-Titel hebt hervor, wie hier das einzigartige Ereignis und seine standardisierte Reproduktion gegeneinander stoßen. Zum Glück hat die vermeintliche Standardisierung auch in der Traumfabrik nie ausschließen können, dass etwas Besonderes entsteht.

Samstag, 09.07.2005

Mit einer Gesamtprämie

Verleihung des Deutschen Filmpreises


Being proud of the german film

Als Alexandra Maria Lara-Fan und Abonnent von Park Avenue war ich überrascht und wenig einverstanden, dass AML nicht für eine LoLA nominiert war – das stimmt jetzt nicht ganz, mit Marie Bäumer zu reden; anders nämlich muss ich gestehen, dass ich es gar nicht müde wurde, wenn der Untergang („Hochglanz- und Spaßkino dominiert den Markt“, Dani Levy im Tagesspiegel-Interview) immer noch ein weiteres Mal getaucht wurde. Allerdings: Seltsamer Konsens der Akademie, der Philharmonie – Corinna, Bernd, Bruno, gemobbt quasi für einen Abend. Am Morgen um 10.45h war die Welt noch in Ordnung: da hatten die Event-Manager, seinerzeit von Eichinger selbst überredet, aus der Veranstaltung etwas wirklich Grosses zu machen (think, you know, the Oscar’s …), im Radio leicht zerknirscht, vorgreifend lindernd dem Akademie-Mitbegründer, aber Nicht-Nominierten Eichinger an die bald 6 Millionen verkaufter DVD’s erinnert und die Erfolge im Ausland. Aber an diesem Abend „der Branche“, unter „den Kollegen“, „unseres Berufskreises“ (Schlöndorff), da waren sich dann fast alle, in ihrem Geschmack, in ihrer Verantwortung, einig: „… so ein Effekt: Man denkt, man ist alleine mit seinem Ernst, und auf einmal sind ganz viele da.“ (V. Schlöndorff)

Zum Beispiel: Bully Herbig. Der hat ein so überschaubares wie pannenfreies Repertoire an Gesten und Mimik am Start – und im Zweifel ein Tucken-Backup. Letzteres brauchte er an diesem Abend zwei Mal: für einen Ideen-armen, aber stimmungsmäßig auf den Berufskreis („28000 Arbeitsplätze!“) eingemitteten Einspieler: der Untergang als Bauchplatscher. Das zweite Mal für’s Schlussbild: teils Tribut an den toten Juhnke (allerdings mit, wo waren Erkan&Stefan of all deutsche Film-people?, frischen Bunnies), teils Erinnerung daran, wer das letzte Jahr die meiste Asche gemacht hatte – in der Branche. Gleichwohl muss man konzedieren, daß Herbig, anders als die meisten deutschen Präsentatoren-Stars (Wenders erstaunlicherweise ausgenommen), gut getimed artikulieren kann und sich weder von einem zu spät gesetzten Spot noch zu früh abgelaufenen 45 Sekunden irritieren läßt. Das, und nicht bloß die tempo-machende Off-Stimme, sollten die Beteiligten einer solchen Gala wirklich von Amerika lernen: Vorgaben des Formats sind als solche zur Kenntnis zu nehmen, und dann vielleicht ggf. auch einmal als solche zu kritisieren – bloßes Stolpern über’s Format und Jammern und Klagen wie wenig Freund&Familie, Kind&Kegel in 45 Sekunden passen: das geht nicht. Das ist auch nicht politisch.

Und so kommt man wieder zur Frage nach Ernst und Politik und ihrem Zusammenhang mit Film. „Ich habe Hitler geschlagen“, meinte Henry Hübchen, dessen Statement in seinem leichtfüssigen Changieren zwischen Figur und Person sicherlich noch das lässigste des Abends war, prompt halbe Irritationen im Berufskreis auslöste und noch besser gewesen wäre, hätte er die Hitler-Pointe nicht zwei- oder dreimal hintereinander festgeklopft. Dennoch lieferte Hübchens Witz so etwas wie den Aufriß des Abends: Man mag vielleicht das nicht, wofür Der Untergang steht, aber man ist bei einer Veranstaltung (institutionell: Akademie, eventmässig: Philharmonie) dabei, die die Eröffnungs-Präsentation hatte, die sie offenbar verdiente. Es muss an dieser Stelle Menschen wie Aljoscha Weskott überlassen bleiben, sich diese drei oder vier Minuten Film einmal vorzulegen – soviel läßt sich aber sagen: die Art und Weise, wie hier eine Entität und eine Geschichte namens „Der Deutsche Film“ konstruiert, eingefriedet, im rechten Moment Heinz Rühmann-synkopiert und nach 90 Spielminuten (60 Jahren?) abgepfiffen wurde, darauf läßt sich wahrlich nur mit (a) Stolz („seien Sie stolz auf das deutsche Kino“, Herbig), und (b) Aufnahme als Bonusmaterial in jenes DVD-Set reagieren, das neben Der Untergang und Fassbinders Lili Marleen (Fassbinder, im übrigen, wurde durch einen weiteren Einspieler und einen daran anknüpfenden haspeligen Gottfried John, wie sagt man?, geehrt; sagt man: immerhin?) eben auch eine Set-Card von Alexandra Maria Lara (aber keine von Nina Schwabe) enthalten würde.

Und so könnte man jetzt mutwillig zwischen der Ablehnung von Eichingers Untergang und jenem Kick-off-Trailer so etwas wie ein Juste Milieu des deutschen Films konstruieren: in Maßen politisch korrekt, aber politisch hinreichend desorientiert, um in der Aversion gegen amerikanische Wörter („Akademie“, nicht „academy“ (Bäumer), während sich Riemann das Amerika-Spielen noch nicht verkneifen wollte: „I thank the academy!“) und amerikanische 45 Sekunden-Taktung, im Hang zu Emotion und menschlicher Empathie schon eine politische Haltung zu sehen. Deren Agenda formuliert sich dann so: „Verbindlichkeit, Persönlichkeit, Tiefe“ (Marie Bäumer) – wollte sie sagen: „Bauchfilme, keine Kopffilme“(D. Levy)?

Die gewisse Leichtigkeit, auch ein gewisser Überblick (nichts Unpolitisches!), der sich in Hübchens Rede anzeigte, wurde spätestens von einer jungen Hoffnung wie H. Weingartner wieder rejustiert: er sprach, mit gewinnendem Ungelenk, vom Herzen, das ein jeder, eine jede hier (er deutete auf sein Herz) trage, und das eine revolutionäre Zelle sei: „Aber in Sachen Ironie bin ich immer noch total am Schwimmen. Was ich kann, sind Emotionen.“

Gerne hätte ich noch die weiche, aber intensive Stimme von Ulrich Matthes sprechen, noch ein weiteres Mal sagen hören: „… mit einer Gesamtprämie von …“

Dienstag, 05.07.2005

ON THE VISUAL ARTS

„Take a thing and put it on one thing
Take a thing and put it on the 2 things
Take a thing and put it on the 3 things
Take a thing and put it on the 4 things
Take a thing and put it on the 5 things
Take a thing and put it on the 6 things
Take a thing and put it on the 7 things
………

sell any time“

[Dieter Roth: A few of the successfoll recipes offered by Rot in this volume:“, in: Snow, wieder abgedruckt in: Ders.: Da drinnen vor dem Auge. Lyrik und Prosa, hg. von Jan Voss, Beat Keusch, Johannes Ullmaier, Björn Roth, Frankfurt/Main: Suhrkamp 2005, S. 160.]


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