Samstag, 26.03.2005

Repräsentationsprobleme, extreme cases

One theater in America was showing a film with a scene of a man dying of TB, in which his wife kisses the dying man. At this point the manager asked the drummer to imitate the sound of the kiss. The drummer wrote to a trade paper to complain: „Of course the people laughed – they always laughed when a kiss is imitated – and I think it spoiled the picture, because the scene was a sad one.“ Sounds for kissing scenes became quite an issue. Apparently some effects men would imitate the kissing sounds by whacking the top of a barrel with a board, while in some theaters the rowdier element would imitate the effect themselves with a chorus of lip-smacks. Young Fullilove was allowed to do much the same: „I would also kiss the back of my hand to represent screen kisses, and in extreme cases pull a cork from an empty bottle!“.

(Stephen Bottomore: „The Story of Percy Peashaker: Debates about Sound Effects in the Early Cinema“; in: Abel/Altman (Hg.): The Sounds of Early Cinema. Bloomington, 2001).

Freitag, 18.03.2005

Bruno Dumont: Twentynine Palms

Katja und David, bevor sie zum Supermarkt gelangen, durch die leergeräumte Straße gehend und Bachmusik von irgendwoher, der linken Straßenseite, aus einem Geschäft?, zu hören ist. Aber der Raumeffekt stimmt irgendwarum trotzdem nicht. Als sie auf die andere Straßenseite wechseln ist die Musik erst wie von weit her, dann aber wieder nah zu hören, ohne dass der Aufnahmestandpunkt merklich wechselt. Mich erinnerte dieses irritierende Quellenmusikverfahren an eine Erzählung über „Model Shop“ von Jacques Demy, einen Film, den ich nie gesehen habe, in dem genau sowas zur überraschenden Konjunktion von Orten und Figuren genutzt sei. Es gibt zwei Arten von Totalen in „Twentynine Palms“: subjektive, point-of-view, mit der Handkamera aufgenommene und welche vom Stativ. Einmal gibt es noch eine andere Totale, beim ersten Trip in die Wüste, bei den Windrädern an der Eisenbahnlinie. Als der Zug dann vorbeifährt wackelt die Kamera ganz schön, aber subjektiv ist der Blick nicht, weil Katja und David im Bild stehen. Wahrscheinlich knallt der Wind da sehr gegen die Apparatur und Dumont hat das Bild dringelassen um ein Ende seiner Exposition zu markieren. Wie der nordfranzösische Wind in Dumonts „L’Humanité“ auf dem Acker gegen das Mikrofon knallt hat mir besser gefallen als der kalifornische Wind in „Twentynine Palms“, weil jener elementare mit existentialen Konstellationen koppelt, dieser scheinbar nur ein „Existential“ (SR) ausstellt. Schon gestern, beim Gucken und Besprechen von „Twentynine Palms“, fielen mir immer nur noch mehr Erinnerungen an ästhetische Indizes anderer Filme ein, die sich aber nicht verbanden zu einem trennscharfen Geflecht, „Twentynine Palms“ zu charakterisieren. Vorläufig einigten sich die meisten von uns auf „Kunst“. Noch sehr unklar ist mir, ob das am Reichtum oder der Armut des Films liegt.

Bruno Dumont: Twentynine Palms

„Twentynine Palms“ macht mich auch beim zweiten Mal ratlos, aber ich neige dazu, das als Qualität zu sehen. Verfremdende Aneignung der Wüste – eine Seelenlandschaft, die ich allerdings schon im eigenen Dorf, das sich Dumont bisher als Schauplatz gewählt hatte, nicht wirklich verstanden habe. Postkatholische Verhängnisse, an denen die Figuren in aggressiver Weise leiden. Ein Gott, der sein Verschwundensein heillos fühlbar macht. Mitleid, so viel ist klar, ist nicht angebracht. Aber ist die Komik, die es hier in Spurenelementen gibt, dann zynisch? Welche Position hat der Film zu dem, was er zeigt? Vielleicht ist das die Frage, die entscheidend unbeantwortbar bleibt.

Twentynine Palms

David und Katia laufen durch 29 Palms, was ein ausgedachter und kein gefundener Ort ist. Noch nicht metaphorisch, nicht mehr materialistisch, wenn dieser Zeichen-Ding-Gegensatz überhaupt Sinn macht. Jedenfalls spricht der Film nicht wirklich allegorisch. Zu hören ist eine Bach-Suite, die als diegetische inszeniert wird und akusmatisch ausströmt. Der vorgestellte Shopping-Mall-Lautsprecher, der diese schöne Musik in Dumonts Jerry-Springer-Amerika scheppert, bleibt im Hors-Champ. Postkatholisch, meint E.; Alice in den Städten-Syndrom, meint S. Duisburg hat dennoch andere Probleme und Rüdiger Vogler würde auch nicht im Cape-Fear-Kostüm aus dem Badezimmer hechten. Odd Film, Old Film, Art Film? Die Untertitel legen sich auf letzteres fest.

Twentynine Palms

Katia spricht Englisch mit russischem Akzent.
David spricht Französisch mit amerikanischem Akzent.
Der klotzige, vierradangetriebene Humvee spielt amerikanische Bluegrass-Musik mit japanischen Texten.
Die Wüste um den Militärstützpunkt Twentynine Palms schweigt; sie lässt den Sex und die Gewalt sprechen.

Eine Zweiergeschichte mit vier Protagonisten, von denen die Hälfte überlebt.
In der letzten Einstellung liegt David, von weit oben gefilmt, mit zerschlagenem Gesicht im Wüstenboden; die Tür des Wagens steht offen, als hätte der ihn ausgespuckt.
Man kann nachlesen, David sei ein Fotograf, der nach Locations für ein Shooting sucht. Im Film habe ich das Suchende in keinem seiner Blicke finden können.

Twentynine Palms
USA/F 2003
Regie: Bruno Dumont

Donnerstag, 17.03.2005

High School

Die existenzialistische Philosophie gerinnt zur Vokabel des modernen Spanischunterrichts. Ausschnitte von Gesichtern, an deren Lippen apathische Blicke hängen. Eine junge Lehrerin steht mit verklärtem Blick neben der Klasse, während ein riesiges Tonbandgerät den Raum mit Simon & Garfunkel beschallt. Film als Zeitgeist – einschließlich seiner Widersprüche. Die Mondlandung nachgestellt in 190 Stunden, Vietnam und der neue Amerikaner, der Rassentrennung verurteilt. Im Kunstunterricht ein adolenszenter Frontalangriff auf das (Schul-) System. Schule als Miniaturstaat, dessen Details in Großaufnahme ausgestellt sind: Der drohende Zeigefinger des Gynäkologen beim Sexualkundeunterricht, nestelnde Mutterhände im Sprechzimmer. Der Brief eines Schülers aus Vietnam erfüllt die Lehrerin mit Stolz.

High School
USA 1968
Regie: Frederick Wiseman

(Stefanie Schlüter)

Mittwoch, 16.03.2005

hinweis

kolik.film > 8 x 100 Worte zu „The Royal Tenenbaums“ (USA 2001, Regie: Wes Anderson)

Dienstag, 15.03.2005

Langtext-Hinweis

Jetzt auf „New Filmkritik für lange Texte“: Thom Andersen – Los Angeles Plays Itself. Der Text aus dem gleichnamigen Film. Dank an Thom Andersen.

Montag, 14.03.2005

UNTERNEHMEN PARADIES

Volker Sattel, D 2002, 60′

1927 ist einer der berühmtesten Dokumentarfilme der Kinogeschichte, Walter Ruttmanns „Berlin – Sinfonie einer Großstadt“ uraufgeführt worden.
Pünktlich zum 75-jährigen Jubiläum zeigte Thomas Schadt unter dem gleichen Titel, was er seine Neuinterpretation von Ruttmanns Klassiker nennt, einen 75-minütigen Film, der den Anspruch auf Musealität gleich in den eingesetzten Produktionsmitteln zum Ausdruck bringt: 35 mm, schwarz-weiß, stumm, über allen Bildern eine Musik, die für den Film komponiert und vom Orchester des Südwestdeutschen Rundfunks eingespielt wurde – stolz berichtet Schadt in einem Interview von über 96.000 Noten in der Partitur, von 70 Musikern und 60 Mikrofonen, von 105 Drehtagen und einem 1 Million-Euro-Budget.

Ebenfalls im Jahr 2002 präsentierte Volker Sattel sein Berlin-Porträt „Unternehmen Paradies“. Auch hier ist eine Orientierung am Vorbild Ruttmann unübersehbar, auch hier simuliert die Montage den Ablauf eines Tages: Im flachen Morgenlicht gleitet die Kamera zu Beginn an Reihenhäusern der Potsdamer Vorstadt entlang. Aufhören wird die Bewegung des Films in der elektrischen Nacht eines Mouse on Mars-Konzerts.

Bis zum Ende wahrt Sattel Abstand, das ist seine Arbeitsvoraussetzung. Zwar operiert er mit einem schlanken Team, aber die gängig gewordenen Authentifizierungsverfahren, diese „Mitten-drin-im-echten-Leben“-Behauptungen von Wackelkamera, Stakkato-Schnitt und lauten Direkttönen hält er sich und uns vom Leib. Lieber setzt er auf feingliedrige, musique concrète-verwandte Toncollagen, auf gerne mal etwas längere und vor allem auf feste Kameraeinstellungen.

Besonders deutlich wird sein Ansatz, wenn Sattel Veranstaltungen im Öffentlichen Raum filmt. Zielsicher begibt er sich in die große Versuchsanordnung von der Mediendemokratie und fängt mehr als einmal einen misstrauischen Seitenblick von Vertretern des Betriebs ein, wenn er im Dickicht von Stativen, Mikros, Kabeln und Satellitenschüsseln seine speziellen, leicht verschobenen Standpunkte einnimmt. Er guckt von innen nach außen, auf Nischen und Ränder – nicht nur räumlich, sondern auch in der Zeit: das Wesentliche, die Höhepunkte finden in diesen Bildern noch nicht oder nicht mehr statt. Und wenn doch einmal etwas mit Nachrichtenwert passiert, dann misst Sattel dem nicht mehr Bedeutung bei als unbeteiligten Zuschauern hinter der Absperrung, der großen Anzahl verschiedenster Fahrzeuge in einem Staatsgast-Konvoi oder dem Einstudieren von Begrüßungsritualen auf roten Teppichen.
Es ist zu sehen: Sattel kann sich treiben lassen in den Ereignissen, ohne die Konzentration zu verlieren. Wie ein Surfer wartet er auf seine eigene Welle, mit Gelassenheit und Eleganz und mit Gespür für den richtigen Augenblick.

Es gelingt Sattel ein doppelter Blick: indem er auf die Nebensache verweist, erinnert er gleichzeitig an das gewohnte Bild der elektronischen Berichterstatter. Sein On liefert das vom Standard-Bild ausgesparte Off. Sein Off, eben das Standard-On, bleibt gleichzeitig über die konditionierte Seherfahrung in seinen Ausschnitten anwesend. Zwei Rahmungsmethoden verschränken sich ineinander – man kann von einem virtuellen Panorama sprechen, von einer Idee von Vollständigkeit, die nur das Gehirn herzustellen in der Lage ist. Sattel setzt auf genau diese Kraft des Fragmentarischen. Seine Bilder brauchen Mit-Schauende. Er ist ein demokratischer Filmemacher. Kein Museumsdirektor.

Der Film wird ab dem 24.3.2005 für (mindestens) drei Wochen in den Berliner Kinos FSK und Hackesche Höfe laufen und danach auf eine Deutschland-Tournee gehen.

Veranstaltungshinweis

Morgen, Dienstag 15.3.05, um 19.00 Uhr beginnt im Berliner Arsenal die Reihe „Topographie im Blick. Filmische Konstruktion von Orten“. Nils Plath und Volker Pantenburg haben Filme, Videos und Installationen von James Benning, Hartmut Bitomsky, Heinz Emigholz, Christoph Girardet, Jean-Luc Godard, Gerd Kroske, Babette Mangolte, Matthias Müller und Constanze Ruhm zusammengestellt, deren Aufmerksamkeit sich filmischen Räumen widmet, die im Kino meist vorausgesetzt und selten zum Subjekt der Erzählung werden.

Als erstes wird Thom Andersens fast dreistündige Montage „Los Angeles Plays Itself“ gezeigt, eine „city symphony in reverse“, die Theorie, Erzählung und Analyse zugleich ist. Wir freuen uns sehr, dass Thom Andersen uns den Text, der im Film von Encke King gesprochen wird, für unsere Langtextseite zur Verfügung gestellt hat; in den nächsten Tagen werden wir ihn da posten.

Links zu einigen lesenswerten Texten, die über oder im Anschluss an „Los Angeles Plays Itself“ erschienen sind:

Thom Andersen – Collateral Damage: Los Angeles Continues Playing Itself [Eine Fortsetzung der Überlegungen aus „Los Angeles Plays Itself“ anlässlich Michael Manns „Collateral“]

Jonathan Rosenbaum – LA Existential [Rosenbaums Besprechung im Chicago Reader]

Bringing It Back – An Interview with Thom Andersen [Ein ausführliches Gespräch, das Andrew Tracy für die Zeitschrift „reverse shot“ mit Andersen über seinen Film geführt hat]


atasehir escort atasehir escort kadikoy escort kartal escort bostanci escort