Donnerstag, 26.12.2013

Bücherregale

colin-wilson1956
Colin Wilson (1931-2013)

Die große Frage, die den Philosophen Colin Wilson zum Entsetzen seiner Kritiker zeitlebens faszinierte: Warum ist nicht das ganze Jahr Weihnachten?

1943 - The Crystal Ball - Elliott Nugent
Das Bücherregal einer Wahrsagerin, in The Crystal Ball (1943 Elliott Nugent)

spellbound

In dem Buch, das Ingrid Bergman hier (in Spellbound, 1945) aus dem Regal zieht, ist die handschriftliche Widmung von Bedeutung, natürlich auch der Titel des Buches.

the lost moment 1947 martin gabel 1
The Lost Moment (1947 Martin Gabel), ein Film, der die Erklärung liefert für sein Anfangsbild: die Lücke in einem Bücherregal.

Male and Female 1919 DeMille
Male and Female (1919 Cecil B. DeMille)

1956 - Toute la mémoire du monde - Resnais
Toute la mémoire du monde (1956 Alain Resnais)

Saboteur
Saboteur (1942 Alfred Hitchcock), „Escape“ und „The Death of a Nobody“

1969 - Nachrede auf Klara Heydebreck - Eberhard Fechner
Nachrede auf Klara Heydebreck (1969 Eberhard Fechner)

Wer einsam und allein ist, fragt wahrscheinlich: Muss denn jedes Jahr Weihnachten sein?

the lost moment 1947 - martin gabel
The Lost Moment (1947 Martin Gabel)

Some Came Running
Somme Came Running (1959 Vincente Minnelli)

Die fixe Idee: Mit ganz wenigen Büchern auszukommen.

Gibt es einen einzigen Film, der den Beginn gemeinsamen Wohnens anhand des Umsortierens und Einsortierens von Büchern zeigt? Ja, Out of Africa (1985 Sydney Pollack). Dieser unglaublich schöne Film.

Es fehlt hier auch ein Bild von Patrick Dewaeres Tätigkeit in einem Antiquariat in Claude Sautets Un mauvais fils (1980).

PEEPING TOM 1960 Michael Powell
Peeping Tom (1960 Michael Powell), Die Angst und der Schutzumschlag

House That Dripped Blood (1971 Peter Duffell)
The House That Dripped Blood (1971 Peter Duffell)

the legend of hell house 1973 John Hough
The Legend of Hell House (1973 John Hough)

1976 - The Seven-Per-Cent Solution - Herbert Ross
Sherlock Holmes zu Besuch bei Freud, in The Seven-Per-Cent Solution (1976 Herbert Ross)

henry-paris
Naked Came the Stranger (1975 Radley Metzger)

Poirot fragt Hastings: „Pardon, mein Freund, aber kann es denn wirklich sein, dass du fünf verschiedene Bücher zu ein und derselben Zeit liest?“

the cop -james b. harris
The Cop (1988 James B. Harris)

„I recently found myself browsing a bookshelf full of progressive catholic books from the 1960s and 70s and there was a scanner in the room.“

Saraband 2002 Bergman
Saraband (2002 Ingmar Bergman)

Eine Genre-Tradition: die private Bibliothek als Schauplatz von Enthüllung, Duell, Mord.

Gentlemen Broncos - 2009 - Jared Hess
Der Vorspann von Gentlemen Broncos (2009 Jared Hess)

An diese Stelle gehört jetzt eigentlich die kleine Skizze zu einem großen Aufsatz über Materialien und Sammler: die Stofflichkeit und die Stoffeligkeit. Nur ein paar Stichworte: Holz, Faser, Faden, Folie, Leinen, Leder, Leim, Nuss, Nougat, Kork und Cord.

Vorsatz: Mehr fotografieren, auch mal in Büchereien, in Antiquariaten und in privaten Gemächern.

Buch ca. 1435 by Rogier van der Weyden
Gemälde von Rogier van der Weyden, ca. 1435

Das erinnert mich an meine alte Verkaufsidee! Kakao-Table-Books! (Coffee-Table-Books für Kinder!)

The Time Machine 1960,
The Time Machine (1960 George Pal)

Die Zukunft

(Bücher – und Filmkopien – überlebten schon viele Prognosen. So mancher, der vom Verfall redet, will nur aussortieren.)

Soylent Green
Edward G. Robinson in Soylent Green (1973 Richard Fleischer)

Freitag, 20.12.2013

wrklch schwrg

12.8.1966
Linders erster Beitrag in »Die Zeit«: Reisesouvenirs (Fotobuch-Besprechung). Überwiegend bespricht er in der Wochenzeitung Foto- und Bildbücher, in seiner Rezension von »Facsimile Querschnitt durch die Jugend« findet er das Wort von den »Museumsstücken der Bildpublizistik«. Sein Redakteur bei der »Zeit«, Uwe Nettelbeck (1940 – 2007), charakterisiert Linder im März 1968 in einem Brief an Jean-Marie Straub als »wirklich schwierig«. In einer Antwort an den Feuilleton-Chef der »Zeit«, Rudolf Walter Leonhardt (1921 – 2003), protestiert Linder im April 1968 gegen vorgenommene Kürzungen in einem Beitrag von ihm, indem er seine Bemerkungen um die Vokale kürzt.

Aus der »Zeittafel« des kürzlich erschienenen Bandes Herbert Linder. Filmkritiker, Film & Schrift Band 17, herausgegeben von Rolf Aurich und Wolfgang Jacobsen. Mit Kritiken und Texten von Herbert Linder, einem Dialog von Stefan Flach und einem Aufsatz von Rolf Aurich, bei dem man ständig einen Finger (oder was gerade zur Hand ist) an die zuletztgelesene Stelle des Apparats zu legen hat, um beim Zurückkommen auf die präzise recherchierten Nachweise (oft Gespräche mit Zeitgenossen Linders) die im absatzlosen Block leicht übersehbaren Fußnotennummern aufzufinden. Dem Buch beigelegt ist eine Audio-CD mit dem Tonbandmitschnitt eines Gesprächs zwischen dem Journalisten Raimund Koplin und Herbert Linder aus dem Frühjahr 1969 für ein Hörfunkfeature zum Thema »Ästhetische Linke«.

Montag, 16.12.2013

Fehlende Augen

Durch einen Spiegel

Wenn Du gesehn, dass es Gespenster sind,
die dich von ihm und seiner Liebe trennen,
wenn du gesehn, dass du nur sehend blind,
weil du nicht wagst, dich Sehenden zu nennen.

Wenn du gesehn! – Doch, ach, du siehst ihn nicht.
Wo wär ein Aug, das sein Gesicht ertrüge?
Du siehst den Widerschein von seinem Licht
Im dunklen Spiegel deiner Lüge.

(Rudolf Alexander Schröder)

Freitag, 06.12.2013

Die Augen

Brudeferden i Hardanger (1926 Rasmus Breistein)

Brudeferden i Hardanger 1926 Rasmus Breistein a

Vor einem Jahr schrieb ich hier zum erstenmal über Blicke in die Kamera. Danach erweiterte sich meine Bildersammlung unaufhörlich. Ich stieß zum Beispiel auf den Sammelbereich Hitchcock. Irgendwann erfuhr ich, dass es ein Buch gibt, das sich dem Thema zuwendet – allerdings daran vorbeigeht, weil es sich nur für den desillusionierenden Blick in die Kamera interessiert. „Breaking the fourth wall“ ist kein Titel, der mich anspricht. Ich wünsche mir doch eher – und das erst recht im Winter, wenn es schneit, dass ein Film mir sagt: „Komm rein und verriegele die Tür.“

Brudeferden i Hardanger 1926 Rasmus Breistein b

Brudeferden i Hardanger 1926 Rasmus Breistein c

Brudeferden i Hardanger 1926 Rasmus Breistein e
Brudeferden i Hardanger (1926 Rasmus Breistein) *****

1928 - Brumes d'autumne - Dimitri Kirsanoff

1928 - Brumes D'Autumne - Dimitri Kirsanoff.
Brumes d’autumne (1928 Dimitri Kirsanoff)

1929 - Charles Bickford - Dynamite DeMille
Dynamite (1929 Cecil B. DeMille)

1931 Gloria Swanson - Indiscreet - Leo McCarey
Indiscreet (1931 Leo McCarey)

1930 - Prix de beauté - Augusto Genina
Prix de beauté (1930 Augusto Genina)

1941 - Man Hunt - Fritz Lang
Man Hunt (1941 Fritz Lang)

1941 - Mikaheri No Tou - Hiroshi Shimizu

1941 - Mikaheri No Tou Shimizu
Mikaheri No Tou (1941 Hiroshi Shimizu)

1943 - Holy Matrimony - John M. Stahl
Holy Matrimony (1943 John M. Stahl)

1944 - I'll Be Seeing You - William Dieterle
I’ll Be Seeing You (1944 William Dieterle)

1957 wild is the wind - george cukor
Wild is the Wind (1957 George Cukor) via

1961 - denn das weib ist schwach - wolfgang glück
Denn das Weib ist schwach (1961 Wolfgang Glück)

„Große, ernste, kohlegezeichnete, kleinbürgerlich triste, grenznahe, oma-finkenrathartige, gleichsam musikalische Schönheit. Langsam heranrollende Autos mit suchenden Scheinwerfern, (…) der aufregende Helmut Schmid als Hobby-Jazztrompeter; sein rohes, unfertiges Gesicht, die aufgeworfenen Lippen, die Trompete als Zeichen für urtümliches sexuelles Verlangen, wie schon in Glücks Die Mädchen aus der Mambo Bar. (…) verlorene Betrunkene im Lokal, verrutschte Tischdecken, Schock und Schuld des Krieges, ein Autoschrottplatz („Freigelände“), wo Kinder spielen und Arbeiter gedankenlos zu ackern versuchen wie Maschinen. Was ich hier schreibe, trifft es nicht.“ (Silvia Szymanski in Hard Sensations)

„Schmid wirkt in Glücks Film tatkräftig und verletzlich, weltgewandt und verloren zugleich – die Idealbesetzung also für einen, der den starken Mann mimt, aber doch nicht über seinen Schatten springen kann.“ (Hans Schifferle in SGE 13)

1961 - les bonnes femmes - Claude Chabrol
Les bonnes femmes (1961 Claude Chabrol)

Ruth-Leuwerik-Die-Rote-1962-Helmut-Käutner
Die Rote (1962 Helmut Käutner)

1965 - The Hill - Lumet

1965 - The Hill - Sidney Lumet
The Hill (1965 Sidney Lumet)

Brigitte Schiller - Die Schiller 1976 Lutz Mommartz
Die Schiller (1976 Lutz Mommartz)

1982 - E.T. - Steven Spielberg
E.T. the Extra-Terrestrial (1982 Steven Spielberg)

Braunschlag 2012
Braunschlag (2012 David Schalko) – „das Beste, was ich seit langem im deutschsprachigen Raum gesehen habe; mit einer umwerfenden Nina Proll.“ (Ed Herzog).

Auch was die Blicke in die Kamera angeht „haben wir uns sehr von Braunschlag inspirieren lassen,“ mailte mir Eddi Herzog gestern. Er habe diese „Millimeterarbeit“ in seinem Dampfnudelblues zum ersten mal gemacht. „Schwierig ist natürlich, dass der Darsteller keinen Anspielpartner hat, den er anschauen kann, sondern nur die Kamera.“

Der Dokumentarfilmer Errol Morris sagt über den Augenkontakt: „It is a moment of drama (…) lost in standard interviews on film.“ Deshalb erfand er eine komplizierte Gerätschaft, dem Teleprompter verwandt: das Interrotron. Den Namen dachte sich seine Frau aus. „She liked the name because it combined two important concepts — terror and interview.“

Morris antwortet auf die Frage, ob das Interrotron die Interviewten nicht einschüchtere: „No. It doesn’t. People, if anything, feel more relaxed when talking to a live video image. My production designer, Ted Bafaloukos, said, ‚The beauty of this thing is that it allows people to do what they do best. Watch television.'“

Über den schweifenden und den starren Blick finden sich übrigens in Klaus Wybornys Buch „Elementare Schnitt-Theorie des Spielfilms“ sehr konsequenzreiche Überlegungen.

Bald mehr über Bücher. Genauer gesagt über Bücherregale in Filmen. Ein Thema zum Entspannen.

Donnerstag, 05.12.2013

Dampfnudelblues

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Sebastian Bezzel in Dampfnudelblues (2013 Ed Herzog)

Dampfnudelblues, den ich vorgestern im Münchner Rio auf der Leinwand sah, ist ein bemerkenswert europäischer Film. Aus allen Richtungen münden Traditionspfade in die reizende Rundheit dieses kleinen Krimis. Von Osten her kommt Zbynek Brynychs gewagtes Spiel mit Blicken, die in die Kamera und durch uns ins Nichts gehen. Aber weniger nervös, eher auf die ruhige Art, in der es der Norweger Rasmus Breistein schon 1926 in Brudeferden i Hardanger zelebrierte. Von Westen gelangt Jean-Pierre Mockys drastische Kunst der menschlichen Karikatur in diesen kontrastreichen Kreisverkehr. Und nach Süden hin führt letztendlich die italo-bayrische Fliehkraft von Lemkes Amore und Niklaus Schillings Vertreibung aus dem Paradies. Ed Herzogs rundum gelungene Komödie ist das ganz unauffällig höchst persönliche Werk eines Routiniers, der nicht vergessen hat, was ihm im Kino und am Leben gefällt. Best of Rock. In einer schönen Nebenrolle außerdem noch: Nina Proll!

Heute um 20:15 in der ARD

Dienstag, 03.12.2013

Im Namen Gottes

Im Berliner Zeughauskino kann man von heute an bis zum 22. Dezember eine Filmreihe unter dem Titel „Im Namen Gottes. Der Evangelische Pfarrer im Film.“ sehen. Am 4. 12. läuft auch „The Night of The Hunter“(Die Nacht des Jägers, 1955) von Charles Laughton. Seit meiner Beteiligung am „Minutentexte“-Buch darüber (Brinkmann und Bose, 2006) habe ich den Film nicht wieder sehen wollen und mich würde es wundern, wenn es andern Beteiligten anders ginge, es sei denn, er oder sie musste sich seine zu beschreibende Minute nur einmal ansehen und konnte gleich darauf losschreiben.
Allerdings hatte ich ja bei der Verlosung auch den Mord zugeteilt bekommen. (Wofür ich von einigen wohl beneidet wurde.)
Jedenfalls freue ich mich seitdem immer über jeden Film, in dem Shelley Winters nicht stirbt.

Freitag, 22.11.2013

DIE WELT FÜR SICH UND DIE WELT FÜR MICH. Film von Bernhard Sallmann (D 2013, 45 Minuten).

Ein Film, der mit schönen Aufblenden und Abblenden arbeitet – und dann gibt es da einen Schnitt (ins Schwarze hinein), ungefähr in der Mitte des Films, der heftig ist, fast wie ein Stich. Der sowohl eine Trennung, ein zerrissenes Band – zwischen Strindberg und Frau und Kind – wiedergibt, als auch den Film zweiteilt: in ‚Donau I – Labor und Leidenschaft’ und ‚Donau II – Hölle’. (Nach den Büchern „Kloster“ und „Inferno“ von August Strindberg.)

Ein Film also, der streng ordnet und zugleich, innerhalb der Episoden, sich fast schwelgerisch gehen lässt – in diese oberösterreichische Fluss- und Auenlandschaft hinein, Stimmungen und Jahreszeiten aufnehmend, mit Strindberg verbundene Orte. Die Erzählstimme (von Judica Albrecht), als Stimme Strindbergs (aus den genannten Büchern), scheint erstmal von aussen hinzugesetzt, legiert sich aber den Bildern und Tönen bis hin zu dem Punkt, dass man sagen kann: die Landschaft steht für die Texte und die Texte stehen für die Landschaft. – Strindberg in seiner Ehe mit Frida Uhl, der gemeinsamen Tochter, 1893 und danach, erscheint wie im Präsens (auch über das sparsam eingesetzte ‚Strindberg-Material’: Gemälde, Photogramm, Celestographie, alchimistisches Experiment, Porträts von ihm und dem Kind). Einmal, im ersten Teil, spricht er von sich in der „Er-Form“, im zweiten Teil in der „Ich-Form“: und jedesmal so, dass diese Gegenwart und die ländlich-beschränkten, auch gewalttätigen Verhältnisse überaus plastisch werden. (Der „schwedische Ketzer“, der Zuflucht bei den Schriften von Swedenborg sucht, war in dieser streng katholischen Gegend nicht wohlgelitten.) Ein ungemein genauer Erforscher von Befindlichkeiten und seelischen Zuständen, der auch das nicht ausspart, was er selbst an Wahnhaftem produziert.

Der ‚heftige Schnitt’: man hat sich, vor allem durch das ruhig fliessende Wasser der Donau, so sehr eingelassen auf den Rhythmus des Films, den Rhythmus der Strindbergschen Prosa, dass man diesen Schnitt eben so empfinden muss – ein bisschen, wie wenn einem der Atem genommen wird. Das schöne Klavierstück, das dann einsetzt, hat absolut nichts Versöhnlerisches, hebt allerdings das Geschehen auf eine andere, vielleicht objektivere Ebene. Gibt dem Film seinen freien Atem zurück: die Frauenstimme, die über dem Abspann (und darüberhinaus) zu hören ist – Strindbergs ‚Lied des Wassermanns’ vor sich hin summend – ist dessen Verkörperung.

(Uraufführung beim 56. Internationalen Leipziger Festival für Dokumentar- und Animationsfilm, 28.10. – 3.11.2013.)

Montag, 18.11.2013

Those who could believe, did

„Zum großen Erstaunen derer, die mich wegen Verunglimpfung der Religion verurteilt hatten, drehte ich Il vangelo. Das war zur Zeit des Pontifikats von Johannes XXIII., ihm habe ich den Film auch gewidmet. Es war so etwas wie ein realer Dialog, eine Beziehung zwischen einem Kommunisten, wenn auch ohne Parteibuch, und den progressiven Teilen des italienischen Katholizismus. Vom religiösen Standpunkt aus möchte ich, der ich immer versucht habe, die Eigenschaften der Religiosität mit meinem Laizismus in Verbindung zu bringen, festhalten: Die Menschlichkeit Christi entspringt einer dermaßen starken inneren Kraft, einem dermaßen unstillbaren Hunger nach Wissen und Verifizierung des Wissens, und zwar ohne jegliche Angst vor Skandalen und Widersprüchen, dass für diese Menschlichkeit die Metapher göttlich schon an die Grenzen der Metaphorik stößt, sie selbst wird ideell zur Wirklichkeit. Mehr noch: für mich ist die Schönheit immer eine moralische. Sie erreicht uns jedoch stets nur mittelbar: über die Poesie oder die Philosophie oder die Praxis: das einzige Beispiel einer nicht vermittelten moralischen Schönheit, habe ich im Evangelium gefunden.“
Pier Paolo Pasolini, so zitiert gefunden bei meiner verspäteten Lektüre von Thomas Meineckes Roman „Jungfrau“(2008), der unter dem guten Stern des Mottos steht: „Those who could believe, did“ (Jack Smith)

Donnerstag, 14.11.2013

Harvey

„Ein Bild von sich selbst besitzen, auf dem zu sehen ist, dass man nicht alleine ist“ so schrieb Rainer Knepperges in „Aufgehoben“, um eine Szene aus „Harvey“ von Henry Koster in seine Überlegungen einzufügen. Dieser Film, den ich (wie wohl viele meiner Generation) nur synchronisiert und im Fernsehen laufend als „Mein Freund Harvey“ kenne, begegnete mir kurz darauf in einer hübschen Nacherzählung: „…James Stewart als Elwood P. Dowd brilliert 1950 in Harvey als fleißiger Martini-Trinker in Begleitung des zwei Meter großen gleichnamigen Hasen, dessen Anwesenheit allerdings ausschließlich für Elwood sichtbar ist. Ob es sich bei „Harvey“ um die Auswirkungen einer jahrelangen Trinkerkarriere oder einen keltischen Kobold in Tiergestalt handelt, bleibt bis zum Ende offen. Der einzige Ort, der den unsichtbaren Freund toleriert, ist Charlie’s Bar, wo der Keeper stets anstandslos zwei Martinis für die Buddies serviert. … Elwood ist durch Erbschaft reich, hat sich aber gegen Ehrgeiz und Ambition für Freundlichkeit, Stil und perfektes Benehmen gerade gegenüber den unteren Schichten der Gesellschaft entschieden. Briefträgern, Pförtnern und Krankenschwestern überreicht er mit ausgesuchter Höflichkeit seine Visitenkarte…Die Familie versucht ihn in eine Irrenanstalt einzuweisen. Der Arzt fragt bei der Aufnahme vorsichtig, ob Elwood, wie eigentlich jeder, hin und wieder einen trinken würde. Elwood: „ Yes, I do, doctor. As a matter of fact, I’d like one right now.”
Zu finden im Gin-Kapitel des lehrreichen Buches „Die Schule der Trunkenheit“ von Kerstin Ehmer und Beate Hindermann, Metrolit Verlag, Berlin, 2013,

Montag, 11.11.2013

Freizeichen / Phantomzeichnung

Die Bande des Schreckens
Die Bande des Schreckens (1960 Harald Reinl)

„All die stillen Objekte, die unser Heim konstituieren, die Flure, Treppen, Winkel, Türen, (…) die nur auf den Weckruf ihres tönenden Anführers warten, um endlich ihre Knechtschaft abzuwerfen.“
(wayward cloud: „Das Telefon sagt du„)

Als Frühaufsteher unter den Dingen sind die Puppen die Ersten, die den kinematografischen Weckruf hören: das Tote möge lebendig werden. Zum Leben erwachen, um zu töten.

1949 - Follow Me Quietly - Richard Fleischer

„Die Polizei hat eine Phantomzeichnung des bewaffneten Mannes veröffentlicht, der am Donnerstag den Besitzer eines Juwelengeschäfts auf der Jamaica Avenue in Queens erschossen hat.“

Anhand von Beschreibungen wird eine lebensgroße, gesichtslose Puppe hergestellt und Photografien davon werden vervielfältigt.

1949 - Follow Me Quietly - Richard Fleischer.

Follow Me Quietly (1949 Richard Fleischer) ist ein Polizeifilm, der sich dem Realismus nicht verpflichtet, eher zum Surrealismus hingezogen fühlt. Auf der Suche nach Groschenheften streifen die Fahnder durch Antiquariate. (Ich musste an Peter Cushings schwedischen Buchladen denken.)

1949 - Follow Me Quietly - Richard Fleischer..-

Würde man behaupten, dieser 60minütige Film markiere den Weg von Bunuel zu den Zucker-Brüdern, dann wäre mit gleichem Recht zu sagen, der Vogel Strauß sei: halbe Strecke – Huhn – Giraffe. Was ja auch nicht ganz falsch ist.

A Dandy in Aspic - 1967 - Anthony Mann 1

A Dandy in Aspic - 1967 - Anthony Mann 2
Gleisdreieck spielt Friedrichstraße, A Dandy in Aspic (1967 Anthony Mann)

Einer der Autoren von Follow Me Quietly war Anthony Mann. Als roter Faden geht durch dessen Werk: die innige Todesnähe. Ein Sarg bietet Schutz vor Attentätern in The Tall Target (1951), bei der Bergung einer Leiche wird der Tod nicht gescheut in Naked Spur (1953), ohne Leben sind die Befehlenden in Men in War (1957) und El Cid (1961). Während der Dreharbeiten zu A Dandy in Aspic starb Anthony Mann im April 1967 in Berlin.

1949 - Follow Me Quietly - Richard Fleischer...
Follow Me Quietly (1949 Richard Fleischer)

„Ein Mann rief gestern bei der Polizei an und sagte, er wollte sterben, oder reden. Als die Polizei kam und ihn retten wollte, sagten sie zu ihm: ‚Hey Pedro, was ist das Problem?'“
(Claudia Basrawi: Jamaica Avenue – Dérive)

„Die Welt ist dumm, die Welt ist blind.“ So lautet die Parole, die der Doppelagent in A Dandy in Aspic ins Telefon spricht, auf Deutsch. Worte von Heine, der Anfang eines Liebesgedichts. *

Lemke the plumber, Jamaica Avenue, Queens, Detail, Foto - Claudia Basrawi
Lemke the Plumber, Queens, Jamaica Avenue (Foto: Claudia Basrawi); Geheimnis des verkehrten „u“

„Wer vorgibt, die Zeit zu messen, mißt in Wirklichkeit nur Veränderungen im Raum. Die Zeit ist nicht homogen. Sie ist eine nicht umkehrbare Reihe. Eine Rückkehr zur vorherigen Situation ist unmöglich. Man kann sich nicht vorwärts und rückwärts in der Zeit bewegen, nicht so wie im Raum. Jeder Moment ist etwas Neues, Einmaliges, Unwiederholbares.“

Die Zitate sind Claudia Basrawis Blog entnommen, der frisch eröffnet und sehr zu empfehlen ist. Als Zugabe ist ihr legendärer psychogeografischer Diavortrag (2001 von Matthias Eder dokumentiert) auf vimeo zu genießen.

side street 1950 anthony mann
Side Street (1950 Anthony Mann), „the surrealist mystery of New York“

Das gab es vor dem Internet nicht: Ein Nachschlagewerk als Flaschenpost. Mit einem Register in Geheimtinte. Das Werk eines Lyrikers. Christopher Mulrooney. Unermüdlich und ein wenig ermüdend ist sein Wüten gegen die Zunft der Kritiker, das Dumme und Blinde. Aber mit wachsendem Interesse schlage ich nach, was Mulrooney dagegen ins Feld führt, was er zu sagen hat – zu Fleischer, zu Mann, zu Aldrich, Jacques Becker, William Castle, DeMille, Blake Edwards, Franju, Ben Gazzara (Regisseur zweier Columbo-Folgen)… Für Mulrooney ist das Kino (und das Fernsehen) ein Kosmos der Ähnlichkeiten, voll von Vorbildern und Vorwegnahmen. In die Texte eingeschrieben ist die Begeisterung, dass nichts einen Film besser kritisiert und interpretiert als ein anderer Film.

1968 - Dominique Webb

Dominique Webb hypnotisiert 3 Passanten. Auf welche Art das (1968 von Bernard Bouthier) gefilmt wurde, amüsiert und verblüfft mich. Es ist nicht herauszufinden, ob dieser Fernsehbeitrag ursprünglich schon nach 13 Minuten so wunderbar plötzlich endete.

Unser Doktor 1970

Man kann, wie Dominique Webb, mit einem Sack überm Kopf eine Autofahrt durch Paris unternehmen, aber ebenso gut auch mal, wie Martin Müller und Veith von Fürstenberg, raus aus der Stadt, tief in den Wald fahren, wo die Lichtspiele des Herbstlaubs stattfinden.

Angereiste aus Aachen und Nürnberg kamen am vorletzten Wochenende in den Kölner Filmclub 813, wo drei Kurzfilme von Martin Müller liefen: Die Kapitulation (1967), Zinnsoldat (1968), und Unser Doktor (1970)- produziert von Boris Marangosoff alias Marran Gosov.

The Fall of the Roman Empire - 1964 - Anthony Mann
The Fall of the Roman Empire (1964 Anthony Mann)

Das kleine Reservat, das Martin Müllers Regieschaffen in der deutschen Filmgeschichte zukommt, lässt sich beschreiben als munteres Quellgebiet, lichter Urwald, aus dem heraus vor langer Zeit zwei ungleiche Ritter namens Lemke und Wenders entgegengesetzte Richtungen einschlugen.

selestat sommer 2013 a
Sélestat, Elsass

Wir wunderten uns. Nicht weit entfernt von Sélestat entstieg dem Mont St. Odile eine gewaltige Nebelwolke. Dort, wo Odile Tränen vergossen hatte im Gebet, ihren verbrecherischen Vater aus dem Fegefeuer zu erlösen, liegt heute eine Kultstätte. Ein Treffpunkt verbrecherischer Väter? Vor Dieben wurde gewarnt, und Blaulicht umzuckte im Viertelstundentakt diesen Vulkan der Kälte.

Uns entging nicht, dass die Menschen südlich des Berges den Storch kultisch verehren; nördlich betet man den Schwan an.
Im Stadtpark von Lyon hatten wir auf unserer Reise viele Flamingos gesehen. Der Flamingo ist ein schlanker, rosa Schwan auf Storchenbeinen.


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