Mittwoch, 15.02.2012

Filme der Fünfziger V

Kenneth Spencer war ein farbiger amerikanischer Sänger, der sich Anfang der fünfziger Jahre in Wuppertal  niederliess. In Deutschland wurde er vielen durch seine Interpretation von „Ol’ Man River“ bekannt.

In „Mein Bruder Joshua“ (1956), der auch unter dem Titel „Der Bauer vom Brucknerhof“ gezeigt wird, fährt Spencer vorwiegend heiter singend und in Uniform mit einem amerikanischen Militärjeep umher. Joshua ist ein sonniges Gemüt; wir sollen denken, dass er in der ländlichen Umgebung kein Fremder bleibt. Sind die Kinder einmal aufgebracht oder zu wild, verteilt Joshua Schokolade und alle beruhigen sich wieder. Regisseur Hans Deppe inszeniert ihn für die Kinder und für uns auch als Stimmungskanone; Joshua führt singend eine Polonaise an, die Kinder folgen ihm lahm und lustlos. Man sieht deutlich, wie falsch das Bild ist.

Willy Kleinau spielt Mathias, den Bauern vom Brucknerhof. Wegen Mordes an seiner Frau saß er 18 Jahre im Gefängnis; jetzt kehrt er auf den Hof zurück. Seine Schwägerin Franziska (Bertha Drews), ein böses Weibsbild, will ihn gleich vom Hof jagen. Aber Mathias Bruckner hat das Recht auf seiner Seite, der Hof gehört weiter ihm. Wir erfahren auch, dass der Mord kein richtiger Mord war, sondern eher Tötung auf Verlangen. Franziska hatte den Sachverhalt gegenüber der Polizei bewusst falsch dargestellt. Nun hetzt sie das ganze Dorf und auch Bruckners Tochter Lena (Ingrid Andree) gegen Mathias auf. Nur Joshua hält zu Mathias Bruckner und mobilisiert seine Kumpane aus der Armee, um Mathias bei der Ernte zu helfen. „Zwei Freunde hast Du“, sagt Joshua. „Mich und den lieben Gott.“

Spielt es eine Rolle, dass der Mord in der NS-Zeit geschehen ist? Eigentlich nicht. Das Rückkehrer-Motiv überwiegt; dass das in der NS-Zeit verübte Verbrechen eigfentlich kein Verbrechen war, muss auch klargestellt werden.

Auftritt Gunnar Möller in der Rolle des Jungbauern Christoph Wiesner, verliebt in Lena Bruckner. Den Auftritt begleiten tatsächlich Flötentöne, Möller ist die personifizierte Gutwilligkeit. Überhaupt meinen es alle gut miteinander, wäre da nicht die böse Schwägerin und ihr Sohn Hans (Jan Hendriks), der den Bruckner Hof erben will. Hans will Lena vergewaltigen, Hans ist aber auch der Freund der Kellnerin Hildegard, die wiederum von  Joshua verehrt und mit Geschenken bedacht wird. Hildegard stürzt eine Treppe hinunter in den Tod und Hans bezichtigt Joshua, sie gestossen zu haben.

Mathias und Joshua sind zwei Einzelgänger, isoliert und zu Unrecht verfolgt; der eine ein Rückkehrer, der andere ein Dagebliebener. Die Gesellschaft arrangiert sich nur widerwillig, am liebsten gar nicht mit den Störenfrieden. Der Farbige immerhin spricht mit schöner Stimme und leckerer Schokolade die Sinne an; das heisst aber noch lange nicht, dass er sich an unsere Frauen ranmachen darf. Kleinau ist eine Heinrich George Figur im Kleinformat; ihm fällt das Gehen, das Sprechen, ja das ganze Leben schwer. Man will im Dorf eigentlich nichts wissen von den seltsamen Männern und der Welt.

Dass Spencer als Onkel Tom im Dorf und auf der Heide angekommen ist; dass der Bote aus der schlimmen Vergangenheit von der Dorfgemeinschaft angenommen wird – das alles ist ja gelogen und Propaganda. Waren die Amerikaner 1956 auf dem Dorf wirklich so gut angesehen oder eher gefürchtet? Der Hass auf das Draussen, die Furcht vor dem Fremden ist stärker als die Idylle, die nur noch gelegentlich als Genrebild gemalt wird. Ingrid Andree,  die Tochter von Mathias Bruckner spielt, sagt es deutlich: „Was weißt Du schon, was es bedeutet, die Tochter eines Mörders zu sein?“ Es ist die Hölle.

Verwundbar

Hier der nachgeholte Zusammenhang, in dem der am 13. 2. zitierte Satz bei Deleuze steht:

„Uns erscheint nicht nur eine Gegenüberstellung der großen Autoren des Films mit Malern, Architekten und Musikern möglich, sondern auch mit Denkern. Statt in Begriffen, denken sie in Bewegungs- und Zeit-Bildern. Der enorme Anteil an Ausschuss in der Filmproduktion ist kein Einwand; er ist nicht schlimmer als anderswo, obwohl man die industriellen und ökonomischen Konsequenzen nicht vergleichen kann. Die großen Autoren des Films sind also nur verwundbarer, es ist unendlich viel leichter, sie an der Ausführung ihres Werks zu hindern. Die Geschichte des Films entspricht einem langen Märtyrerkatalog.“

Dienstag, 14.02.2012


[14. Oktober 1979]

Montag, 13.02.2012

Katalog

Da ein Redner (Ulrich Neymeyr) beim gestrigen ökumenischen Filmempfang zur Berlinale daran erinnert hatte, dass für den Philosophen Gilles Deleuze die Filmkünstler Denker sind, schlug ich nach langer Zeit Das Bewegungsbild (Cinéma 1. L’image-mouvement) wieder auf und fand im Vorwort den vergessenen Satz:

„Die Geschichte des Films entspricht einem langen Märtyrerkatalog.“

Sonntag, 12.02.2012

Filme der Fünfziger IV

Hitparaden gab es – so Wikipedia – in Deutschland ab 1954; davor sendete das Radio – nach amerikanischem Vorbild – die Schlagerparade. In der Schlagerparade wurde  deutsches Liedgut rhythmisch aufgemöbelt. Big Bands und Tanzkapellen waren top. Davon, dass die Kenner sowieso AFN hörten, wollen wir jetzt mal gar nichts wissen.
Polydor verbündete sich mit Rundfunk und Film und startete die Schlagerparade auch im Kino. In „Heimweh nach Dir“ (1952; Regie: Robert A. Stemmle) spielen nur Polydor-Stars; die Playback-Aufnahmen wurden im Berliner Esplanade gemacht –ausgewähltes Publikum war im Juni 1952 zum „Polydor-Cocktail“ geladen. Friedel Hensch und die Cypris, Bully Buhlan, Rita Paul, Rudi Schuricke, Werner Müller und Helmut Zacharias spielten auf. Gerhard Wendland wurde genannt, aber ich habe ihn nicht gesehen. Werner Müller dirigierte die Rias Big Band; mit dem Geiger Helmut Zacharias hatte er schon 1943 eine Wehrmachts-Tournee durch Deutschland unternommen. Was für Musik werden wir wohl hören?
In einer Reithalle spielt eine auf „Alter Fritz“ kostümierte Musikkapelle lustlos und etwas falsch Marschmusik für eine Reitergarde. Ja, wenn sie ihre eigene Musik spielen dürften! Sie dürfen, man hört nun etwas wie Dixieland; die Pferde werden verrückt und werfen die Reiter ab. Die Negermusik macht die Pferde scheu – das ist auch in den fünfziger Jahren noch ein Brüller. Und immer ist im deutschen Film ein gütiges Schicksal zur Hand; diesmal ist es der eher smarte Herr Petermann (Martin Held), der die Kapelle gleich eine Stufe weiter vermittelt; eine Sängerin wäre gut und die Dixieland-Musik – „na na“ – die sei ja eigentlich verboten. Wir befinden uns in der Zeit des 3. Reiches. Margot Hielscher wird die Sängerin der Band, die sich jetzt „Flotte Fünf“ nennt. Mit Peter Pasetti, dem Bandleader, und dem Schlagzeuger Peter Mosbacher hat Margot Hielscher ein Verhältnis. Es gibt einen Riesenkrach – gerade als man ans Geldverdienen denken kann –, dann ist Krieg. Einberufung – und aus ist‘s mit der Karrier‘.

Ein Leierkastenmann, der schon die erste Episode angekündigt hatte, erklärt nun die Nachkriegszeit für eröffnet. Walter Gross verkauft Bockwurst (man sagt: wurscht, das klingt volkstümlicher) am Bahnhof Zoo, Peter Mosbacher und Wilfried Seyfert treffen sich auf der Landstrasse, Pasetti treibt die Sehnsucht aus Wien nach Berlin. Nur Lukschy ist bereits Arzt in Hamburg, aber zufällig auch wieder in Berlin. Im Resi, dem grossen Tanzlokal in Neukölln, kommt die versprengte Truppe schicksalsgewollt wieder zusammen.
Wilfried Seyfert in der Rolle des hellen Kerlchens nimmt im Resi an einem Quiz teil; dem Gewinner winkt eine Fernsehtruhe. Seyfert bekommt für die falschesten Antworten alle Trostpreise auf einmal: Flasche Dujardin, Schuhe, Hut, Radiokoffer Bajazzo, Fahrrad, Oberhemd und Krawatte. Das VW Cabrio hatte ja schon Sonja Ziemann in „Grün ist die Heide“ abgeräumt.
Im Resi singt auch Bully Buhlan, der eigentlich gern Mitglied der Flotten Fünf wäre. Sein Wunsch geht in Erfüllung. Margot Hielscher hat sich unglücklich nach Amerika verheiratet, ist jetzt aber auch im Resi zurück und sieht natürlich „grossartig“ aus. Ach Kinder, alles ist so schön wie früher; nein, noch früher als schöner müsste Walter Gross jetzt sagen. Vor 1945 gab es nämlich keine Schöneberger Sängerknaben und  die Gala der Filmfestspiele in der Waldbühne ist auch ganz neu.
Es zählt das positive Gemeinschaftserlebnis – fast möchte man sagen „Volksgemeinschaftserlebnis“; die Brüche in den Biographien werden gemeinsam weggeschunkelt. Paul Esser in einer Nebenrolle kann doch eigentlich auch ganz zufrieden sein; dass er im Krieg den Arm verloren hat, ist gar nicht so schlimm. Er spielt ja gar kein Instrument. Irgendwann fällt der Satz: Wundervoll gewesen, damals. Und alle trappeln unruhig mit den Füssen, weil es jetzt noch besser werden soll.

Igor Oberberg fotografierte die Gemeinschaftsbilder. Zur Premiere wurden an der Gedächtniskirche 1.000 Luftballons in den Himmel geschickt als Gruss an die Brüder und Schwestern in der Zone. Die werden sich mächtig  gefreut haben über das bisschen Luft in Tüten.

Freitag, 10.02.2012

[13. Oktober 1979]

Donnerstag, 09.02.2012

Veranstaltungshinweis (Berlin)

Vom 9. bis 19.2. finden Internationale Filmfestspiele („Berlinale„) in Berlin statt.

Veranstaltungshinweis (Berlin)

Samstag, 11.2., HBC, ab 21.00 Uhr, Ein Abend mit Klaus Lemke.

Fernsehhinweis

Heute, 23.15 – 00.45 Uhr im WDR: Die Stämme von Köln (2011 Anja Dreschke)

Mittwoch, 08.02.2012

Bakelitperücke und hölzerner Umhängebart

über Masken, Brillen, Schleier und Helme (Teil 1)

Welche Erwartungen, Wünsche und Träumereien ein einzelnes Bild auslösen kann, davon erzählt Scorsese am Anfang seiner Reise durch den amerikanischen Film. Mit einer gewissen Nostalgie sprach auch Michael Althen von der Zeit, in der das einzige, was man von einem Film besitzen konnte, ein einziges Standfoto aus dem Reclam-Filmführer war. Ein einzelnes Bild, zu dem man sich Gott-weiß-was vorgestellt hat.

Dainah la metisse (1931 Jean Gremillon), der an Bord eines Schiffes spielt, das zwischen Marseille und der Ile Rousse verkehrt, ist einer jener Filme, die in der Literatur womöglich nur deshalb abgetan werden, weil die betreffenden Autoren keine Gelegenheit mehr hatten, sie zu sehen. (Peter Nau: Auf den Spuren von Gremillon, Filmkritik, Juni 1982). Aber es gibt da dieses Szenenfoto: Eine Frau im Abendkleid, mit vier maskierten Männern an einem Tisch, starrt durch einen merkwürdigen metallenen Schleier, der einer Fechtmaske ähnelt, auf etwas, das ihren Blick leuchten lässt.

The Woman Who Came Back (1945 Walter Colmes) schaute ich mir nur wegen dieses Bildes* an und wurde nicht enttäuscht. Obwohl die maskierten Kinder keine sonderlich große Rolle spielen, durchzieht den Film im ganzen, was mich aus dem Bild heraus anlachte: eine gewitzte Finsternis. Mittels beherzter Perspektivwechsel wird das Sujet, der Verlust der vertrauten Gewissheiten, zum schaurigen Effekt der Erzählung. Was Nancy Kelly, die Hauptrollen bei Henry King, Allan Dwan und Mervyn LeRoy gespielt hat, hier in diesem feinen kleinen B-Film wiederfährt, das ist, verwandt mit den Stoffen des genialen Val Lewton, eine dunkle Vorwegnahme von Carnival of Souls.


Judex (1963 Franju)*

Der Maskenball ist ein filmischer Topos. Aber Filme können sich nicht wirklich für das Bad in der Menge erwärmen, ihre Helden oder Bösewichter müssen doch immer zumindest uns Zuschauern kenntlich bleiben. Ohnehin kündigt die Musik von Maurice Jarre unmissverständlich an, dass hier nicht mit fröhlicher Ausgelassenheit, sondern mit dem Tod zu rechnen ist.


Lady in a Cage (1964 Walter Graumann)

Einbrecher, die bei Tag in ein Haus eindringen, dessen Bewohnerin in einem steckengebliebenen Aufzug, hinter Gitterstäben, wie in einem Käfig gefangen ist. Links, im offenen Hemd, James Caan, in seiner ersten Kinoperformance. Neben ihm, das ist Jennifer Billingsley. Die beiden zusammen sind furchteinflößend sexy, purer Punk.


Fantomas (1964 André Hunebelle)

Zwischen diesen beiden Bildern gibt es, um unbemerkt vom dem einen (Jean Marais) zum anderen Darsteller (Louis de Funes) zu wechseln, eine Überblendung. Als ich den Film als Kind sah, stürzte mich das Offensichtliche, dass nicht Marais, sondern De Funes den als Inspector Juve maskierten Fantomas darstellte, und also etwas Schminke die Maske nur vortäuschte, in eine unauslöschlich komplizierte Verwirrung. Auch etwas Angst war dabei im Spiel. Um so lauter mein Lachen.


Santo y Blue Demon contra Drácula y el Hombre Lobo (1972 Miguel M. Delgado)

Die überaus populären Darsteller Santo und Blue Demon spielen sich selbst. Das mexikanische Publikum kannte ihre Gesichter nicht, nur ihre Masken.

Loki Schmidt testet Aufbauten, so lautet die offizielle Bildunterschrift zu diesem Foto von Engelbert Reineke aus dem Jahr 1980.


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