Samstag, 19.03.2011

Telefon (Zeitkapsel)

Wo beginnt die Stadt wieder, wenn ich jetzt umkehre, dachte sie, als sie an den Rand gekommen war. Es war einer von vielen Rändern, innerhalb der Stadt und stammte von einem der Dörfer, die vor noch nicht so langer Zeit zusammengefasst worden waren.

Sie hatte ihm gesagt, sie sei für einige Tage verreist. Sie wollte ausprobieren wie das war, weil immer nur er wegfuhr. Zuerst hatte es sich auch gut angefühlt, doch dann, als sei sie auch für sich abgetaucht, für länger. Für immer. Sie bekam Angst.

Es war so ruhig hier, der Weg hinaus hatte ihr wieder Klarheit gebracht, so als sei sie wirklich gereist.

Und eine Telefonzelle! Unzerstört!

Sie rief ihn an und gestand ihm, gar nicht weg gewesen zu sein.

Draußen wartete ein kleiner Junge, der ganz plötzlich aufgetaucht war, einen Schlüssel um den Hals.

Er legte sein Ohr gegen die Scheibe.

Sie musste lachen.

„Holst du mich hier ab, ich bin gestrandet.“

Mittwoch, 16.03.2011

Telefon (6)


The Nutty Professor (Jerry Lewis 1963)

Es kostet ihn am Telefon einige Mühe sich bei seinem vergesslichen Vater ins Gedächtnis zu rufen. Das Bonusmaterial der DVD enthält eine ausufernde, völlig rückhaltlose Improvisation dieser Szene.

Jerry Lewis‘ unübertreffliche, zu Herzen gehende Interpretation von „Dr. Jekyll and Mr. Hyde“ wird heute um 21:45 vom BR aus Anlass seines 85. Geburtstages gesendet.

Sonntag, 13.03.2011

Ohne Ziel


Hans Albers mit Versuchsobjekten. Vom Teufel gejagt (Viktor Tourjansky 1950)

Es war ein besonders tiefer Wühltisch, eher ein Käfig als ein Tisch, in dem ich, ohne zu wissen was ich suchte, diesen Fund machte. Eine seltsame, weil deutsche Variation von Stevensons „Strange Case of Dr. Jekyll and Mr. Hyde“ – das versprach die hässliche Hülle der DVD. Und tatsächlich erzählt dieser Schwarzweißfilm vom Verderben eines Wissenschaftlers.

Mein schlimmster Fehler bestand lediglich in einer gewissen Neigung zu ungestümer Heiterkeit, die für viele Glückseligkeit bedeutet, die ich aber nur schwer in Übereinstimmung bringen konnte mit meinem gebieterischen Verlangen, hocherhobenen Hauptes in der Öffentlichkeit eine ungewöhnlich ernste Miene zur Schau zu stellen. (Robert Louis Stevenson: „Dr. Jekyll und Mr. Hyde“, 1885; übersetzt von Wolfram Benda, dtv)


Nach dem Selbstversuch. Im Regen, im Anzug, in Trance…

Schon oft ist die Geschichte dieser Verwandlung erzählt worden, doch hier ist sie selber ganz verwandelt. So als müsse die schöne weltweite Gültigkeit der englischen Erzählung erst sorgsam in die deutsche Kultur eingepasst werden, so hat sich dieser Dr. Jekyll assimiliert und ist ein Dr. Mabuse geworden. Ihm geht es nicht um die Aufspaltung der menschlichen Doppelnatur, sondern um Konsolidierung eines Unternehmens, Rettung seiner vom Konkurs bedrohten Klinik. Merkwürdig schlüssig ist die Paradoxie, dass der Held seine umnachteten Befehle erst anderen und zuletzt sich selber gibt. Nicht das Unbewusste kommt zu seinem Recht, sondern blinder Gehorsam gedeiht im Weichfeld guter Absichten.

Das Gesicht des Hauptdarstellers ist die Sensation des Films. Vergleichbar mit den unvorstellbaren Sachen die Mitchum in The Night of the Hunter macht, lässt hier Hans Albers seine sympathische Natur entgleiten – ins Glasige und Grausame, ins Finstere und Fiese. Die Tasse, die ihm gleich darauf à la Bresson zu Bruch geht, hat dann beinah beruhigende Wirkung.


Telefon (5)
So sonderbar wie Lil Dagover – seltsame Gräfin und spinnerte Lady – so grotesk ist ihr weißes Telefon. „… das Groteske, das heißt: die Mischung von Erhabenem und Lächerlichem, die allen Menschenwesen eigen ist.“ (Victor Hugo)

Vom Teufel gejagt war der 100. Film des Regisseurs Tourjansky, dessen Filmographie 1912 in Russland als Darsteller und 1914 als Regisseur begann. In unzähligen seiner frühen Filme war Nathalie Kovanko, seine Ehefrau, sein Star, bis ihm 1931 auf der Terrasse des Cafe de la Paix die geheimnisvolle Simone Simon begegnet. Der Exilrusse reiste vielbeschäftigt zwischen Paris und Hollywood (als Victor) und Berlin (als Viktor) hin und her. Erst 1938 entschied er sich ganz für die Arbeit in Deutschland. Man möchte sagen: falsch. Der „Routinier“ war UFA-Regisseur, Bavaria-Regisseur, und man muss wegen des Hetzfilms Feinde (1940) sagen: auch Nazi-Regisseur.

Interessant wäre vielleicht ein Blick auf die 10 Jahre erfolgreiche Arbeit des Duos Emil Burri (Drehbuch) und Tourjansky (Regie und Drehbuch): Eine Frau wie du (1939) Der Gouverneur (1939) Feinde (1940) – alle mit Brigitte Horney. Und die folgenden: Tonelli (1943), Orientexpress (1944), Liebeswirbel / Dreimal Komödie (1944/1949), Der blaue Strohhut (1949) – alle produziert von Georg Witt, dem Ehemann von Lil Dagover. In kleinen Rollen immer mit dabei: der Schauspieler Joseph Offenbach. Ob man beim Anschauen der Filme raten könnte, wann zwischendrin der zweite Weltkrieg endete?
Erst nach Vom Teufel gejagt (1950): plötzlich eine Zäsur – in der Zusammenarbeit. Emil Burri bildete später ein Drehbuch-Gespann mit Johannes Mario Simmel. Georg Witt fand Mitte der 50er ein neues Erfolgsrezept: Filme mit Liselotte Pulver unter der Regie von Kurt Hoffmann. Toujanskys letzter Film, 1962 in Italien gedreht, hat den schönen deutschen Titel: Cleopatra, die nackte Königin vom Nil.


Vom Teufel gejagt

Im ersten Stock seiner Privatklinik hat der Irrenarzt seine Privatwohnung, wie hinter Gittern.
Der Kriminalkommissar (Joseph Offenbach) betritt den Tatort, die Kneipe am Bahndamm, wie ein Gangster. Die Männer an seiner Seite postieren sich wie Bodyguards. Allerlei ist fremd.

„Der deutsche Nachkriegsfilm, von 1945 bis zum Beginn des Neuen Deutschen Films, gehört inzwischen zu den unbekanntesten Epochen der deutschen Filmgeschichte. Das negative Urteil über das Kino der Adenauer-Ära, über dessen Schnulzen, Heimat- und Schlagerfilme, hat auch die interessanten Filme verdrängt.“ Ulrich Kurowski schrieb das im Juli 1985 in epd Film und weckte damit damals Wünsche, die mir nicht alle in Erfüllung gingen. Ungesehen bis heute: Die Mücke (Walter Reisch 1954) und Verzauberter Niederrhein (Willy Zielke 1954).


Hier hatte der Film am 24.10.1950 seine Uraufführung: Hahnentor Lichtspiele, Köln, 1500 Plätze.

In jeder Hinsicht unkonventionell, weil Kurowski vor lauter ungestillter Neugierde auch das Eingeständnis der Wissenslücke nicht scheute, ließ er seinen Text mit einer Bitte an den Leser enden: „Ich suche auch noch Filme: Kronjuwelen (Franz Cap 1950), Das ewige Spiel (Cap 1951), Türme des Schweigens (Bertram 1952), Vom Himmel gefallen (Brahm 1955). Wer etwas über den Verbleib von Kopien dieser Filme weiß, möge dies bitte der Redaktion mitteilen.“

Vom Teufel gejagt hat einen wunderschönen Schluß: Der Affe schaut aus dem Käfig auf seinen Herren herab, dessen Augen im Tod nicht ganz geschlossen sind. Dem Tier und dem Toten ist eine gewisse Lässigkeit gemeinsam.

Samstag, 12.03.2011

Trümmerfilm

In den Eva-Lichtspielen werden montags frühe deutsche Nachkriegsfilme gezeigt, einige klassische „Trümmerfilme“ sind dabei. Die Reihe begann mit dem düsteren „Irgendwo in Berlin“ (1946, von Gerhard Lamprecht), der die zerstörte Stadt aus der Sicht von Kindern zeigt, die in den Ruinen – auch „Krieg“ – spielen.

Am Montag, den 14. März, ist nun ein weiterer nicht so bekannter, aber bemerkenswerter Film dieser Umbruchszeit zu sehen, „Film ohne Titel“( 1947/48) von Rudolf Jugert, mit einer der besten Rollen von Hildegard Knef. Der Film heißt so, weil er beginnt, während er erst noch hergestellt werden muss. Wir sehen nicht nur der Produktion, sondern auch der Bearbeitung der Vorlage zu. Ein Drehbuchautor, ein Schauspieler und ein Regisseur unterhalten sich über den Filmstoff – eine Liebesgeschichte in den Kriegs- und Nachkriegswirren – haben aber völlig konträre Vorstellungen von der Durchführung. Besonders komisch werden die Eitelkeiten des Schauspielers (Willy Fritsch) in Szene gesetzt, der etwa sagt: „Das ist doch keine Rolle für mich! Die Ausgangssituation ist ja ganz dankbar, aber…“ Oder er zeigt, wie er sich die Liebesszene vorstellt und schlägt den märchenhaften Titel „Königskinder“ vor.

Und ganz wunderbar sind die Anspielungen auf andere Trümmerfilme, die als parodistische Gedankenspiele in Bild und Wort auftauchen, um dann doch nicht realisiert zu werden.

(Eva-Lichtspiele, Blissestraße 18, Wilmersdorf, montags 15.45. Martin Erlenmeier gibt eine kurze Einführung zu jedem Film.)

Freitag, 11.03.2011

Filme von Thomas und Veit Harlan

11.03. – 02.04.2011
Filmmuseum München

JUD SÜSS – 11.03, 18:30 Uhr (Einführung: Stefan Drößler)
JEW SÜSS – 12.03, 18:30 Uhr
HARLAN – IM SCHATTEN VON JUD SÜSS 13.03, 18:30 Uhr (Zu Gast: Felix Moeller)
WUNDKANAL – 15.03, 21:00 Uhr
VERRAT AN DEUTSCHLAND (DER FALL DR. SORGE) – 18.03, 18:30 Uhr
THOMAS HARLAN – WANDERSPLITTER – 19.03, 18:30 Uhr
VEIT; ICH SELBST UND KEIN ENGEL – 20.03, 17:30 Uhr (Zu Gast: Michael Farin)
UNSTERBLICHE GELIEBTE – 22.03, 21:00 Uhr
ANDERS ALS DU UND ICH (§ 175) – 23.03, 21:00 Uhr
SUNRISE (SONNENAUFGANG) – 25.03, 18:30 Uhr
DIE REISE NACH TILSIT – 26.03, 18:30 Uhr
TORRE BELA – 29.03, 18:30 Uhr
JUD SÜSS – FILM OHNE GEWISSEN – 01.04, 18:30 Uhr
JUD SÜSS – EIN FILM ALS VERBRECHEN? – 02.04, 18:30 Uhr

Dank für den Hinweis an Florian Geierstanger, der die Termine als Kommentar zum vorherigen Eintrag gepostet hat.

Donnerstag, 10.03.2011

barking trichloroethylene



[Belletristik]

aus einer Maschinenübersetzung des deutschen Wikipedia-Artikels zu Thomas Harlan.

Dienstag, 08.03.2011

shomingeki No. 23

Die neue Nummer 23 von shomingeki ist da. (Die Zeitschrift ist mittlerweile 15 Jahre alt geworden.) Es finden sich darin u.a. Texte über The Japanese Wife von Aparna Sen oder Ruhr von James Benning, ein Bericht über die Berliner Stummfilmkneipe „Froschkönig“, eine Besprechung von Peter Naus Buch: „Die Filme von Reinhard Kahn und Michel Leiner“ oder auch Grenzüberschreitendes wie ein Gedenken an Aby Warburg anlässlich der Neuedition seiner Schriften.

www.shomingeki.de

Samstag, 05.03.2011

Propaganda

Heute Nacht um 3.05 kann in der ARD der sympathischste Propagandafilm, den ich kenne, gesehen werden, „Mrs.Miniver“(USA, 1942) von William Wyler.

In shomingeki Nr.18 (2006) habe ich den Film auf mehreren Seiten gepriesen. Ich möchte hier nur auf eine Stelle hinweisen, mit Details, die beim ersten Sehen auf einem Fernseher völlig untergehen:

„Als die Soldaten beim Sirenengeheul aus ihrem Stützpunkt zu den Flugzeugen stürmen, schwingt nach dem Letzten die Tür zurück und lässt ein Plakat sehen, wohl eine touristische Werbung aus der Vorkriegszeit. Zu sehen ist der „Bamberger Reiter“, jene berühmte, geheimnisvolle Gestalt zu Pferde im Dom, hier nur als Brustbild, darunter die Losung „Come to Germany“. Der sinnende, gar nicht kriegerische Ausdruck des Reiters  ist aber verfremdet worden: Durch ein aufgeklebtes Hitlerbärtchen – und einen flotten Hitlerpony, der im Wind zittert. Als ich den Film zum ersten Mal anschaute, übersah ich diese Zutaten völlig. Da wirkte das Erscheinen des Motivs, während ich es wieder erkannte, nur wie ein trauriger Geist der Vorkriegszeit, in der Engländer sich als Touristen nach Deutschland bewegten.“

Donnerstag, 03.03.2011

Why can’t digital and celluloid coexist?

Im Guardian vom 22. Februar: Tacita Dean über die Schließung des (wie sie schreibt) letzten britischen Filmlabs, das noch 16mm Kopien hergestellt hat: Save Celluloid, for Art’s Sake.

In den erstaunlich vielen, meist gut informiert wirkenden Kommentaren nicht nur das übliche Digitalversusanalog-Pingpong, sondern auch mehrere Hinweise, dass es durchaus noch Anbieter gebe, die 16mm entwickeln, auch in London: »iLab a lab in soho on Poland street still develop 16mm and they do an amazing deal.« (*) | »I phoned Film and Photo, Acton (also Notting Hill) and they apparently print 16mm from negative. They are bemused and don’t understand what the fuss is about…« (*) | »Another lab which will make 16mm colour prints from negative: Prestech, restoration and preservation, North London. That took 2 phone calls. Did anyone research this article?« (*) (derselbe Kommentator, 20 Minuten später).

Interessant auch die Einschätzung von Peter Gidal (von dem ich annehme, dass es Peter Gidal ist und nicht irgendwer, der sich »Peter Gidal« nennt). Er kritisiert im klassischen Experimentalfilmer-Gestus Deans Strategie, Martin Scorsese und Steven Spielberg brieflich um Hilfe zu bitten, damit »Soho Filmlabs« weitermacht mit 16mm:

»tacita dean has unfortunately erred in writing to reactionary filmmakers in hollywood for their ‚help‘ in keeping open a lab for the making of experimental 16mm films. so whilst doing all she can (as quite a few of us are doing and have done) to insure soho filmlabs stays open, she misses the point both of art and politics in this manner. having used soho labs, and len thornton’s expertise, for decades with utter satisfaction for incredible precision and competence i can only hope if it stays open it’s because of – and for – the experimental 16mm filmmaking in this country, not for simple commerce, not even primarily for ‚film art‘ (though for that too), and also not for the british film institute’s needs, an entirely other matter (for they truly know not what they do).

peter gidal« (*)


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