Dienstag, 09.02.2010

Spoiler Alarm!

Wer seine Verehrung für Robert Bresson intakt lassen will, sollte dieses Buch nicht in die Hand nehmen. „Jeune Fille“ von Anne Wiazemsky ist eine Initiationsgeschichte, die viele Abgründe enthält. Nicht umsonst hat Wiazemsky nicht nur Bressons Tod abgewartet, sondern noch einige Jahre zwischen sich und diesen ersten Abschied bringen müssen. In Form eines Romans erzählt sie von den Dreharbeiten zu „Au hazard Balthazar“. Schon das Casting für ihre Hauptrolle darin ist äußerst seltsam. – Wer immer auch – trotz großer Begeisterung für das, was Bresson erreicht – unbehagliche, nicht zuzuordnende Gefühle hatte, findet alles hier bestätigt. Anne, die fast die ganze Projektionslast aushalten muss, verhält sich manchmal wie ein normaler Teenager und entkommt so dem Druck. Dann sieht sie für einen Moment die Komik einer Situation: Der für den Kornhändler Vorgesehene wird mit Probeaufnahmen malträtiert wie alle anderen und stellt sich nicht so geschickt an wie das junge Mädchen: „Der Gegensatz zwischen der äußeren Erscheinung von Pierre Klossowski, seinem etwas gekünstelten Tonfall, seiner rauen Stimme, seiner Art, schief auf der Bank zu sitzen und diesem Dialog, den ich auswendig konnte – das war zu viel: Obwohl ich mit allen Mittel versuchte, mich zusammenzureißen, brach ich in schallendes Gelächter aus.“

Anne Wiazemsky, Jeune Fille, C.H. Beck, 18,90 €

Paul

Eine Frisur wie ein Handfeger, als wäre er fast erwürgt worden und hätte sich soeben erst wieder erholt. Im Glencheck-Anzug, sein Hab und Gut in einer Plastiktüte, stumm auf der Hut vor falschen Freunden, randalierend auf der Suche nach was Schönem. Ein trauriges Raubtier, ein besoffener Heiliger.

Paul, 1974, von Klaus Lemke, mit Paul Lyss, Sylvie Winter, Friedhelm Lehmann.
Heute um 20:30 im Filmclub Berlin im Sputnik Kino, zwar nur DVD-Beam, aber egal.

Sonntag, 07.02.2010

Auf Wüstenboden

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Kalifornien, 1964

Below the Surface. So heißt ein Tiefseetaucherfilm von Irvin V. Willat (1890 – 1976), an underrated director whose hard-punching films, difficult to see, deserve further study (Jay Weissberg*).
Die New York Times* schrieb (im Januar 1920), sein Kriegsfilm Behind the Door sei einer der erbarmungslosesten und grausamsten und gleichzeitig einer der entschieden besten Filme seit Beginn des Krieges. Sein Technicolor-Western Wanderer of the Wasteland (1924) gilt als verschollen (Wikipedia zitiert vermutlich einen Text von Robert S. Birchard*): „A 35mm cemented bi-pack Technicolor print survived until the 1960s in the hands of Irvin Willat, who had directed the picture. Irvin Willat reported in 1971 that his print had decomposed and turned into jelly. After Willat’s death, his daughter mentioned that she remembered the day when he had first discovered that Wanderer of the Wasteland had decomposed. She said he went upstairs to his bedroom, closed the door and cried for three hours. His former wife Billie Dove had starred in the picture, and he never really came to terms with their separation.“
Billie Dove had a huge legion of male fans, one of her most persistent being Howard Hughes.
(…)
She was also a pilot, poet, and painter.
*

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Kalifornien, 1969

Vom Meeresgrund: Das große Experiment 1898-1918. Unter dieser Überschrift verheißen die Kurzfilmtage Oberhausen „die bislang größte Schau früher Filme“. Unbekanntes! Das kling gut. Und ausnahmsweise wird nicht damit geworben, die Filme seien „aufwendig rekonstruiert“. Ich warte immer noch darauf, dass endlich mal jemand von einer „unaufwendigen Rekonstruktion“ schwärmt – und damit wirbt, die Filme seien „garantiert nicht neu orchestiert“.
Schön ist das Versprechen: die neue Rekonstruktion von Metropolis sei endgültig die letzte!

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Kalifornien, 1974, Klapperschlange

In Zane Greys Roman „Der Wanderer in der Wüste / Wanderer of the Wasteland“ beschreibt ein alter, erfolgreicher Goldsucher in kurzen Worten seine Europareise: Der Biss einer Klapperschlange hat mich nie halb so elend gemacht wie dieses schmutzige, stürmische Meer! Die Überfahrt war ein Alptraum. Dann kam London. Eine öde Stadt, so groß wie die Mohavewüste und voller kurioser, fischäugiger Leute, die ich nicht verstehen konnte. Dann Paris: eine schöne, glitzernde Stadt, aber weiß der Teufel, was ich dort zu suchen hatte. Von Paris fuhr ich nach Rom, und dort geriet ich in eine kuriosen Zustand. Ich konnte die Tempel und die alten Ruinen anschauen, ohne sie richtig zu sehen – meine Gedanken waren entwischt in die alte Heimat. Diese ganze Idee, reisen und lernen und betriebsam sein, war mir plötzlich unendlich zuwider. Ich ließ Ägypten aus, und an Indien und Japan kann ich mich nicht mehr recht erinnern. Aber als ich dann das Schiff bestieg, das mich nach Frisco fuhr, da sah ich freilich auch nichts mehr, aber aus einem anderen Grunde – weil ich die Augen voller Tränen hatte!

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Utah, 1985

Fotos von Gus Hormay

Dienstag, 02.02.2010

Ein Traum

6 Minuten Rio à la Lelouch: Roberto Carlos Em Ritmo De Aventura, von Roberto Farias, 1968

Mittwoch, 27.01.2010

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Neues aus der Welt der Oberfläche der Unterwasserwelt

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TARKAN VIKING KANI, Regie: Mehmet Aslan, 1971

Besonders zu empfehlen sind die Minuten 70:00 – 71:49 und 78:13 – 80:00 und… ach,
das Ende! Ich verrate nichts, wenn ich sage, dass Williamsons Patent unverletzt bleibt.

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Via Monster Movie Music

Donnerstag, 21.01.2010

Stumblin‘ In

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Vornehmste Bestimmung des Kinos: sichtbar machen, zusehen lassen, wie und warum Musik entsteht. Denn aus Zuhören und Besprechen, aus Konfrontation und Abstimmung besteht in glücklichen Phasen die menschliche Gemeinschaft.
Heute Nacht läuft um 23:15 im WDR der Dokumentarfilmklassiker von 1980, die monumentale Momentaufnahme TALENTPROBE von Peter Goedel, mit Hans Barani, Wilfried Henne, Danny Krings, Karin Langel, Günther Langhammer, Petra Leo, Wilfried Liebetrau, Many Lohmer, Hans Günter Meurer, Matteo Palumbo, Siegfried Patzner, Udo Recki, Gabi Schatz, Karl-Heinz Wandelbein, Horst-Dieter Wiss

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dunkelster Ursprung des bewegten Bildes: der Spiritismus

Peter Nau, „Filmkritik“ Heft 7/1980: „Schon immer war es ein Traum der Menschheit, leitet bedeutungsvoll eine Kommentarstimme ein, zu erfahren, was nach dem Tode sei. Solche Einleitungsworte, denen die Versicherung folgte, daß die Geschichte, die sie verheißen, sich tatsächlich ereignet habe, gab es oft in früheren Filmen. Mit dieser Stimme des Sprechers, während sie auf ein real Geschehenes und fiktiv sich neu Ereignendes hinweist, spricht, vermittelnd zwischen der Geisterwelt und der Wirklichkeit, wie durch ein Medium der Film. Er spricht von sich als einem Anderen, vor Jahren tatsächlich Geschehenen, und als das Bild dieses Anderen, als seine Beschwörung, ersteht dann, erzählend, vor unseren Augen und Ohren …“

… Der Tote kehrt zurück (MISTERIOS DE ULTRATUMBA) von Fernando Mendez, 1957, Mexiko,
am Samstag um 20:00 im Kölner Filmhaus Kino,
anschließend Jubelfeier („Zwei Jahre Something Weird Cinema“) mit Tanzcombo.

New York Cut the Crap

Gary Dobermans Artikel „New York Cut the Crap“, eine Invektive gegen die intellektuellen Ostküstenfilmemacher des Strukturellen Films, wurde in der Hauszeitschrift von Canyon Cinema, CINEMANEWS, 1979 in so kleiner Schrift publiziert, dass man praktisch eine Lupe brauchte, um ihn lesen zu können.

Diane Kitchen, die gemeinsam mit Gunvor Nelson kurz danach die Redaktion des Magazins übernommen hatte, beschloss daraufhin, den Text erneut abzudrucken, diesmal allerdings noch kleiner, so dass eine Lektüre wirklich ausgeschlossen war. Bei der Produktion des Heftes, so Kitchen, hätten sie sich vor Lachen kaum halten können.

[erzählt nach: Scott MacDonald: Conversation with Diane Kitchen, March 2002, in: Scott MacDonald: Canyon Cinema. The Life and Times of an Independent Film Distributor, Berkeley: University of California Press, S. 182]

Dienstag, 19.01.2010

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Montag, 18.01.2010

Erinnerungen eines Filmkritikers an das Jahr 1965

Wir haben ein altes Grab auf einem Friedhof entdeckt.
Wir haben das Grab geöffnet.
Wir haben den Sarg rausgetragen.
Wir haben den Sarg geöffnet.
Wir haben eine Mumie gefunden.
Uns ist es gelungen, die Mumie zum Leben zu erwecken.
Die Mumie hat einen Film gemacht.
Und dieser Film war GERTRUD.

*

Das erzählt Michel Delahaye im zweieinhalbstündigen Porträt LE CARRÉ DE LA FORTUNE, F 2007, Regie: Pascale Bodet und Emmanuel Levaufre. Im Hintergrund sind lautes Löffelklappern und Gespräche von den Nebentischen im Café zu hören, deshalb habe ich nicht genau verstanden, ob er das über sich selbst, damals bei den Cahiers an der Seite von Rivette, oder über andere Filmkritiker sagt. Über sich selbst sagt er jedenfalls, dass er damals über Carl Theodor Dreyers Film hätte schreiben sollen, das aber ablehnte: Er glaubte nicht, dem Film gewachsen zu sein. Dass es ein zweieinhalbstündiges Porträt von Michel Delahaye gibt, finde ich erstaunlich; damals, als ich ein paar Notizen zu Delahaye schrieb, dachte ich, das sei der Auftakt zu einer Reihe von Texten, die ich »Zentrale Nebenfiguren des französischen Kinos« nennen wollte. Daraus wurde nichts, das heißt, doch: die Reihe existiert weiterhin in meinem Kopf, ich habe sie nur nicht geschrieben. Die zweite Folge hätte von Jean-François Stévenin handeln sollen, und vielleicht kann man auch den Moullettext als Beitrag gelten lassen. Jetzt also diese DVD mit dem Delahaye-Porträt. Über Delahaye könnte man in etwa das sagen, was er über Dreyer sagt: Er schien begraben, bis ihn ein paar junge Kritikerinnen und Kritiker von La lettre du cinéma, darunter neben Bodet und Levaufre auch Serge Bozon und Axelle Ropert, Ende der 90er Jahre wiederbelebten. Dafür ist dann vor einigen Jahren La lettre du cinéma verstorben, vor allem, weil die Redaktionsmitglieder sich verstärkt den eigenen Filmprojekten zuwandten. Es ist merkwürdig, dass sich Baudet und Levaufre mit Delahaye in das lauteste Café von ganz Paris setzen (oder mit einem Mikrophon arbeiten, dass jedes Café zum lautesten von Paris macht), vielleicht ist es sein Lieblingscafe. Später wird das mit dem Ton offenbar besser, da befragen sie ihn in seiner Wohnung, schreibt mir ein Freund, aber so weit bin ich noch nicht.


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