Oktober 2014

Freitag, 31.10.2014

Phoenix III

Sich als Auschwitzüberlebenden schuldig empfinden, jene perfide Volte der Geschichte, davon wusste Primo Levi zu berichten und wenn Nelly in Johnnys Keller vom Lager erzählt, zögernd, stockend immer leiser werdend, eine Entäußerung nach innen, zu sich selbst, vergewissernd, wie ein Eingeständnis, scheint sich alles für einen Augenblick zu verkehren, sie, die sich offenbaren will, eine Last loswerden, und er, der ihr wie abwesend zuhört.

Das ist mittendrin in dieser Geschichte von Zerstörung und Deformation und was das mit einem macht. Bei Nelly anfangs die Zerstörung äußerlich noch kenntlich durch Verhüllung der erlittenen Gesichtsverletzungen, und die weiteren, die wir uns denken, und ihre Ratlosigkeit gepaart mit dem Staunen angesichts des Neubeginns, das später sich in einem fast tonlosen Fragestellen äußert, wie bei einer anderen Nelly, die noch mal 2 Jahre später von den „Wohnungen des Todes“ schreiben wird, wirkt all das bei Johnny unsichtbar, wie verloren in einer Vergangenheit, die er nicht mehr als die Seine begreifen kann, pathologisch fast, dieses nicht Erkennen wollen, nicht mehr Erkennen können, das Verdrängen des Makels der Schwäche des Verrates, als habe er seine Sinne verloren, das Riechen wie das Tasten der einst Geliebten, aber nicht den Verstand, der ihn antreibt, das Bild zu formen von Jener, die er nicht wahrhaben will.

Vom Ursprung des Gesangs heißt es, er vertreibe die Raubtiere, und wenn Nelly am Ende lauthals „speak low“ singt, ist das auch ein Hinauswachsen über sich selbst, der Gesang als Preisgabe, das laute kraftvolle Singen wird zum Rettenden, sie, die sich frei singt, von all den Zurücknahmen, den selbstauferlegten, und dem Verlust der Liebe, die Sie am Leben erhalten hat, und die dann einfach abgeht, und ihn zurück lässt, und sein Erkennen ist das Erstarren, bewegungslos, aber nicht wie das Raubtier, lauernd, sondern gelähmt hilflos, ein Verworfener.

Freitag, 24.10.2014

Phoenix II

Ich schließe mich der Begeisterung des vorigen Beitrags an. In Christian Petzolds „Phoenix“ sind die beiden Hauptdarsteller aus dem Vorgängerfilm „Barbara“ zu einem Wiedergängerpaar vereint. Das Zwielicht, in dem der Mann, Ronald Zehrfeld, agiert, ist hier aber extremer. Und Nina Hoss, deren Identität doch uns Zuschauern bekannt ist, spielt unglaublich überzeugend, gleichzeitig unter unserem und dem Blick ihres Mannes. Der sie nicht erkennt oder halb erkennt, nur in Ähnlichkeit mit der Totgeglaubten oder Totgewünschten. Und was er nicht erkennt, was ihn fast bis zum Schluss hindert zu sehen, ist eben auch das, was das Lager, was sein Verrat, was das dem Tod Entronnensein und das Rekonstruiertwerden ihres Gesichtes Nelly genommen haben. „Mich gibt‘ s gar nicht mehr!“ So sagt sie ja selbst.
Was den Film vorantreibt, ist ein Song, für den ich kein besseres Wort als das vieldeutige „haunting“ weiß, der zuerst auf Platte erklingt, später von Nelly gesungen. „Speak low“ Geschrieben von Kurt Weill im Exil, für das Musical „One Touch of Venus“. „Speak low, when you speak love.“ Wie Nina Hoss das singt, während sie sich halb wieder in ihr altes Ich hineinspielt, aber die Stimme sich noch nicht wieder heimisch fühlen kann, bis zu einem trotzigen Beharren auf der Unmöglichkeit.
Selbst in der Hollywood-Version von „One Touch of Venus“ (mit Ava Gardner, Singstimme von Eileen Wilson) klingt der Song unendlich wehmütig. Aber wenn Nelly, die Überlebende „time is a thief“ singt, verwundert es uns gar nicht, dass ihr Mann sie entsetzt wiedererkennt, als die mit dem Bild zur Deckung Gekommene. Ja, die Nummern-Tätowierung ist auch zu sehen, aber so diskret wie sie das Filmbild zeigt, können wir annehmen, dass es die Stimme war, die die Gewissheit brachte und wie sie „love is a spark/ lost in the dark/ too soon, too soon“ singt. Und für Nelly selbst auch!
(Abends nach dem Kinobesuch lief im Jazzradio eine Version von „Speak low“, die wirklich haunting ist, da sparsam zwar, solche Sounds eingesetzt sind, die ein bisschen auf Spuk hindeuten, von Nils Landgren.)

* Österreichisches Filmmuseum > following film > Christoph Huber > »I have decided to follow film. A mission statement

Mittwoch, 15.10.2014

Phoenix

Als einer, der sich vom neueren deutschen Spielfilm nicht gerade verwöhnt fühlt, ging ich gestern mit sehr geringen Erwartungen in Phoenix von Christian Petzold (mit Harun Farocki) – und sah ein Meisterwerk. In einem Medium, das ganz auf Wiedererkennen abgestellt ist, die Verkennung zum Prinzip zu erheben, ist mehr als nur ein phantastischer Einfall. Es ließe sich eine Ästhetik darauf errichten – schon gut, ich tu’s ja nicht. Diese Ästhetik wäre jedenfalls wie eine Umkehrung von Althussers Ideologietheorie (mit der méconnaissance als Modus) und zugleich die der Hoffnungen, welche  Lévinas in den Widerstand des Gesichts („son refus d’être contenu“ usw.) gesetzt hat. Die Bilder sind außerdem bestechend. Es glaube doch bitte keiner, was ihm die Feuilletons darüber erzählen wollen, man schaue sich diesen Film einfach an.

Freitag, 10.10.2014

„Habe ich mitten in der Nacht eine Idee, stehe ich sofort auf und setze sie um.“

Bruno Sukrow .Tauchfahrt ins Verderben 2013
Tauchfahrt ins Verderben (2013 Bruno Sukrow)

Der pensionierte Maschinenschlosser Bruno Sukrow wurde im Alter von 82 Jahren von jenem Fluch heimgesucht, den als Segen so viele sich wünschen. Er wurde Filmemacher.

Am Ende des Weges (2010), Die Formel Aestus, Der schwarze Panther, Indian Affair, Endzeit, Dschungel Queen (2011), Saturnus (2012) …
Die Animationsfilme, die der nun 87-Jährige daheim am Computer herstellt, sind seit 2012 keine Kurzfilme mehr, sondern abendfüllend.
Planet des Grauens (2012), Der Biss der Steinnatter, Der Stern von Rio, Das Moorhaus, Fata Morgana, Die letzte Safari, Tauchfahrt ins Verderben, Martins Feuer, Dracula in Afrika (2013), Griechischer Wein, Der Irre von Thornhill, Das Gesetz der blauen Berge, Trommeln am Okawango (2014).

Der bislang ausschließliche Ort der Vorführungen, das Aachener „Leerzeichen“ liegt just unter den Wohn- und Arbeitsräumen des Filmemachers, der sich bescheiden als „Filmbastler“ sieht. Aber die Zahl der von weit her anreisenden Bewunderer steigt kontinuierlich.

1956 - The Living Idol
The Living Idol (1956 Albert Lewin) * * * *

Wie beschreiben? Was geschieht, wenn in Albert Lewins The Living Idol ein Leopard durch Mexiko-City schleicht? Sieht das aus, wie von de Chirico gemalt? Oder wie in einem Traum? Nein, schöner. Die Zeit steht still, genüsslich und geheimnisvoll. – Wie in einem Film von Bruno Sukrow? – Ja, genau.

Bruno Sukrow – ein später Henri Rousseau der Filmkunst – hat etwas erfunden, das zur Zeit noch keinen Namen hat. Schwer zu entscheiden, ob das Etikett „naiv“ oder „extrem erfahren“ besser passt.

Die ungezierte Originalität seiner Filme sprudelt aus zwei nah beieinander gelegenen Quellen. Zum einen: Humor, der das Alltägliche und das Unglaubliche nicht von einander trennen mag. Und: ein rares Erzähltalent, dem die profansten Liebeskonflikte mit den exotischsten Abenteuern spielend leicht vereinbar sind.

Der schwarze Panther (2011), ein Film mit ungeheuer schönen, hohen, schwankenden Gräsern und nie zuvor gehörten Dialogen, gab mir das Gefühl, es hätte Rudolf Thome in Topform den Tiger von Eschnapur ganz neu verfilmt.

Griechischer Wein 2014 Bruno Sukrow
Griechischer Wein (2014 Bruno Sukrow)

Bruno Sukrow ist ein Karel Zeman im Second Life. Der Vergleich mit den surrealistischen Montagen von Max Ernst oder Hilary Faye drängt sich auf. Er ist Monteur und Naturgesetzgeber einer eigenen Welt, „deren sanfte Abgedrehtheit bezaubert und hypnotisiert“ (Silvia Szymanski).

Nichts und niemandem, nur den Tugenden eines Erzählers verpflichtet, ist er der Letzte der Unabhängigen. Oder, wer weiß, ist er der Erste?

Heute um 20:00 Uhr gibt es in der „Raststätte“, Lothringerstraße 23, in Aachen die einmalige Gelegenheit, zwei der schönsten Filme von Bruno Sukrow in einem Double Feature zu genießen: Martins Feuer (2013) und Griechischer Wein (2014).

Donnerstag, 09.10.2014

Langtexthinweis

* Johannes Beringers Erinnerungen an die Technologiekampagne 1968 mit Harun Faocki (und vorherige Dreharbeiten mit Wolfgang Staudte in Bulgarien)

Dienstag, 07.10.2014

Langtexthinweis und Links

Im Frühjahr ist das Österreichische Filmmuseum 50 Jahre alt geworden. Wir drucken auf der Langtextseite einen Auszug aus Alexander Horwaths Geleitwort zum Band „Das sichtbare Kino“ ab:

* Alexander Horwath: Weiterleben

Die beeindruckende Chronik des ÖFM legt in drei Einzelbänden (Aufbrechen, Das sichtbare Kino, Kollektion) oder gesammelt im Schuber Zeugnis über fünf Jahrzehnte eines „polemischen und poetischen Museums“ (Kubelka/Horwath) ab. Mit den Worten von unmittelbar Beteiligten und Zeitzeugen der Vergangenheit und Gegenwart, in aufschlussreichen Dokumenten und Objekten, in Texten und Bildern, die zu keinem Augenblick vergessen lassen, dass sie auf etwas hinweisen, das unter anderen Bedingungen des Kinos nicht zu haben ist.

Zwei von vielen Veranstaltungen im Herbst:

– eine Reihe mit Filmen von Gregory J. Markopoulos (19. bis 24. November; siehe auch hier)

– eine Gesprächs- und Vortragsreihe mit dem Titel Das Unsichtbare Kino
Film, Kunst, Geschichte und das Museum
; mit Nicole Brenez, Chris Dercon, Noam M. Elcott, Daniel Fitzpatrick, Lars Henrik Gass, Siegfried Mattl, Winfried Pauleit und Jacques Rancière.

***

Die Geschichte des ÖFM ist – wie die Arbeit jeder Kinemathek und jedes Filmarchivs – essentiell mit dem Leben und Weiterleben von analogem Filmmaterial verknüpft. Mit Produktionsstätten und Kopierwerken, mit Infrastrukturen der Projektion und Produktion, mit der Tradierung von sozialen, ästhetischen und politischen Zusammenhängen, die sich um das Medium Film herum gebildet haben.

Es gibt zurzeit eine Vielzahl von Initiativen, die auf verschiedenen Ebenen versuchen, den Fortbestand Filmmaterial sicherzustellen:

Save Film Petition (dort auch viele weitere Links zu aktuellen Entwicklungen)

100 More Years of Analog Film (Kickstarter-Kampagne zur Rettung der Ferrania-Filmprodution in Norditalien, die von den benötigten 250.000 Dollar in wenigen Tagen bereits mehr als 210.000 erreicht hat)


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