Einträge von Dagmar Kamlah

Dienstag, 26.05.2015

Begegnung mit dem Tod XY

Vor kurzem habe ich „Eine Taube sitzt auf einem Ast und denkt über das Leben nach“ von Roy Andersson gesehen. Darin gibt es eine Szene, die mich seither verfolgt, mehrmals am Tag muss ich daran denken. Und jedes Mal wird die Empörung größer. Ich möchte hier in die Cineastengemeinde hineinfragen, wie es Anderen mit dieser Szene geht?!?

Der Film rankt lose Episoden um zwei Protagonisten, erfolglose Handelsvertreter für unoriginelle Scherzartikel, die wie auch die meisten weiteren Akteure eher unattraktive Durchschnittsmenschen darstellen. Die Welt wurde nachgebaut und in entsättigte Farben getaucht, zur Theaterbühne gemacht. Es ist eine perspektivlose Welt, die Menschen sind desillusioniert, uninspiriert und hängen besseren Erinnerungen hinterher, von einem lebendigeren Leben. Die reduzierte Narration bietet eine naiv-lakonische Komik, die wohl zünden mag, wenn man viel hinzuphilosophiert. Vordergründig klingt alles schrecklich banal. Ich muss den Grundton des Films schildern, um die Besonderheit der bewussten Szene verständlich zu machen. (Außer ihr gibt es zwei weitere Szenen, die aus dem Rahmen fallen, die ich hier nicht weiter verhandeln möchte – eine historische Episode über den Krieg und eine in einem Affenversuchslabor.)
Also, die Szene spielt in der Kolonialzeit. In eine riesige, scheinbar liegende Kupfertonne, an der Seite ist eine offenstehende Tür, wird eine Gruppe von angeketteten Sklaven geführt, unter Bewachung von Soldaten und Peitschenhieben. Eine Frau mit Kind auf dem Rücken bricht jammernd kurz vor der Tür zusammen, wird trotzdem hineingezwungen. Die Tür wird verschlossen. Eine Fackel wird angezündet, diese unter die Tonne gehalten und man gewahrt, dass die Tonne wohl über einem mit Treibstoff gefüllten Becken hängt, der in Flammen aufgeht. Die Tonne ist gespickt mit verschieden großen Trichtern, wie von altmodischen Hupen oder Megaphonen. Als das Feuer eine Weile brennt, beginnt es aus dem Innern zu rumoren und die Tonne zu rotieren. Ein seltsamer Singsang ertönt. Vage kann man das Trappeln der verzweifelten Menschen in der Tonne durchhören, aber die „Musik“ bleibt doch sehr abstrakt, ein undefinierbarer Klang. Auf der Tonne steht der Name des (bekannten schwedischen Kupfer-) Herstellers ‚Boliden‘. Nach geraumer Zeit erfolgt ein Schnitt auf eine Fensterfront, in welcher sich die Tonne spiegelt. Die Fenster werden aufgeschoben und eine Gruppe von greisen Honoratioren und Damen, in Frack und Ornat und Abendkleidern tritt bedächtig, etwas wackelig auf den Beinen, heraus auf die Terrasse, ergriffen lauschend.
Boliden ist u.a. bekannt durch einen Skandal in Andalusien, wo nach einem Dammbruch giftiger Abraumschlamm einer Kupfermine in einen Fluss gelangte, woraufhin viele Anwohner erkrankten und starben.
Natürlich geht es auch sonst im Film um Fragen, was der Mensch dem Menschen antut, Machtstrukturen, Hierarchien, Ausbeutungsverhältnisse… Aber da bleibt es meist in einem alltäglichen Rahmen. Der Kupfermenschenkochkessel als Musikwalze ragt als Solitär heraus. Ein Bild entsetzlicher Folter als Genuss für eine überalterte dekadente Herrscherklasse.
Wer hat den Film gesehen? Wer hat dazu eine Meinung?

Eine der wenigen Kritiken, die überhaupt diese Szene behandeln:

„Endgültig absurd wird es am Ende nach dem letzten Zwischen­titel: »Homo sapiens«. Ein Affe im Versuchs­labor, auf scho­ckie­rende Weise fest­ge­kettet und sein Kopf einge­spannt, der Schädel aufgesägt und verdrahtet. Ihm werden bei leben­digem Leib Strom­stöße versetzt, während die Labo­rantin neben ihm – hässlich, dick, im Kittel, wie fast alle Menschen in diesem Film hässlich, dick und unvor­teil­haft gekleidet sind – während diese Labo­rantin also ungerührt tele­fo­niert. Das ist natürlich billigste Denun­zia­tion von Wissen­schaft, so billig, dass es den Zuschauer beleidigt zurück­lässt, aber trotzdem ein hoch­gradig eindrucks­volles, dabei seltsam schönes Bild.
Ebenso das Nächste: Ein Dutzend halb­nackte Schwarze, offenbar afri­ka­ni­sche Einge­bo­rene in tradi­tio­neller Kleidung, ange­kettet zum Teil mit Halseisen – »wie der Affe« kommt einem unwill­kür­lich in den Sinn, soll es wohl auch, obwohl und weil diese Asso­zia­tion rassis­tisch ist. Sie werden von Weißen im Tropen­kostüm des frühen im 20. Jahr­hun­derts mit Peitschen in einen Metall­kessel getrieben, der wird erhitzt und beginnt sich zu drehen, womöglich von innen im Über­le­bens­kampf ange­trieben. Es folgt ein 180-Grad-Schwenk auf eine Party-Gesell­schaft aus lauter reichen Alten, die sich das Spektakel angucken. Auch das denun­ziert überaus billig und viel zu einfach west­li­chen Kolo­nia­lismus, ist aber gut abzusehen und als Bild für sich stark.“ (Rüdiger Suchsland, http://www.artechock.de/film/text/kritik/t/tasiau.htm)

Roy Andersson in einem Interview:
„Heutzutage muss man zuerst an sich selbst denken und seinen eigenen Gewinn maximieren, indem man andere übervorteilt. Ich will gar nicht über die schrecklichen Folgen dieses Verhaltens nachdenken. Es ist eine Katastrophe, ein Irrsinn, der den jungen Leuten den Glauben an das Gute austreiben wird.
Ich hasse Erniedrigung, andere Menschen erniedrigt zu sehen und selbst erniedrigt zu werden. All meine Filme drehen sich irgendwie um Erniedrigung. Ich komme aus der Arbeiterklasse und habe gesehen, wie sich Verwandte vor ihren Vorgesetzen selbst erniedrigen, einen übertriebenen Respekt für Autorität zeigen, der ihnen unmöglich macht, ihre Meinung zu sagen und ihnen nur Schuldgefühle lässt. Das habe ich mein ganzes Leben lang erlebt, und ich habe beschlossen, dagegen zu kämpfen“ (….)
„eine präzise arrangierte Szene, in der ein schreckliches Verbrechen in einen fiktiven historischen Kontext gestellt wird. In der Kombination von Grausamkeit und Schönheit ist das fast eine Provokation. Ich beziehe mich auf die Massenvernichtungsszene gegen Ende des Films. Britische Kolonialisten treiben Sklaven in einen Kupferzylinder, und aus den letzten Schreien der Opfer entsteht eine langsame, wundervolle Musik.
Für einen Künstler ist es wichtig, sogar notwendig, vorgefasste Meinungen durcheinanderzuwirbeln, daran zu rütteln, dem Gefühl von Schuld in der Welt etwas hinzuzufügen. Wir sollten uns immer noch schämen. Ich habe diese Szene seit 50 Jahren in meinem Kopf, und es befinden sich darin jede Menge historische Anknüpfungspunkte. Ich bin sehr glücklich, dass sie mir ohne Unterwürfigkeit oder Sentimentalität gelungen ist. „

Sonntag, 28.04.2013

FiFo 2013

ZIGEUNER SEIN, 1970
In ihrer Sprache heißt Roma einfach Menschen. Der Film läßt diese Menschen davon sprechen, wie sie verhaftet und in Lager und Gefängnisse gesteckt werden; dass 90 Prozent ihrer Familien in den Lagern bleiben. Sie sprechen mit burgenländischem, bayrischem, sächsischem Akzent; sie leben in trostlosen Baracken an den Stadträndern, zu zehnt in einem Zimmer mit feuchten Wänden. Im Winter sind die Kinder ständig krank. Peter Nestler fügt mit seiner dunklen schweren Stimme die weiteren Fakten hinzu. Auch ein Lagerangestellter kommt zu Wort, der schildert, dass das „Zigeunerlager“ in Birkenau ihm, obwohl schon mit einer “Hornhaut” versehen, doch die Sprache verschlug. Und am Ende fasst eine kluge Frau das ganze Unrecht, das diesen Menschen widerfahren ist, präzise zusammen. Nein, sie haben sich in 600 Jahren nicht nicht assimiliert, sondern man hat sie sich nicht assimilieren lassen. Und zwar bis in die Gegenwart. Peter Nestler verwässert das weder sprachlich noch filmisch. Dieser Meilenstein des Dokumentarfilms bezeugt zum ersten Mal und in direkter Sprache die Verfolgung der Sinti und Roma am Beispiel Deutschland und Österreich.

OUR SCHOOL, 2012
Im Jahr 2006 erhielt das rumänische Städtchen Târgu Lăpuş EU-Mittel zur Einführung der integrierten Schule, also für den gemeinsamen Unterricht von Roma und rumänischen Kindern. (…) Am Ende dieses Projekts finden sich die Roma-Kinder wieder dort, von wo sie gekommen sind – draußen. Diesen Prozess haben die Regisseurinnen Mona Nicoara und Miruna Coca-Cozma über einen Zeitraum von vier Jahren verfolgt. Dabei gelingt OUR SCHOOL etwas sehr Spannendes: Zum einen verfolgen wir, wie sich die Überzeugungen der Mehrheitskultur – Bürgermeister, Schulleiter, Lehrer – zu einer institutionellen Gewalt verdichten, die über das Leben dieser Kinder entscheidet. Zum anderen erleben wir am Beispiel von drei Kindern, mit welchen Hoffnungen die Roma in das Projekt gestartet sind und spüren ihre Enttäuschung umso schmerzhafter. (DOKLeipzig)

Diese beiden Filme laufen im Antiziganismus-Schwerpunkt des Freiburger Film Forums (8.-12. Mai 2013, www.freiburger-filmforum.de) und ich glaube, der neue Film wuerde auch Peter Nestler gefallen.

Auf zwei Filme zur Fluechtlingsthematik moechte ich auch hinweisen. Fernand Melgar ist es in VOL SPECIAL gelungen, in einem von 28 Deportationszentren für Sans-Papiers und abgewiesene Asylbewerber in der Schweiz zu drehen. Er konnte das Vertrauen der Gefaengnisleitung und der Inhaftierten gewinnen und neun Monate lang in der Institution filmen. Sein Blick richtet sich gleichermassen auf Personal und Inhaftierte. Der Film fuehrt das administrative System vor, das hinter diesen gnadenlosen Ablaeufen regiert. Allein in der konkreten Dynamik zwischen Betreuer und Betreutem wird sichtbar, welches Unrecht dort passiert, ueber alle Koepfe hinweg.
Wie der grosse Institutionsfilmer Wiseman hat Melgar hier ein dichtes Gewebe von dramatischen Situationen mit der Kamera beobachten koennen. Wie das Gebaeude selbst, ist der Film in kalten, blaugrauen Toenen gefangen, aus denen die wenigen warmen zwischenmenschlichen Gesten herausgluehen.

ALTRA EUROPA von Rossella Schillaci zeigt eine Hausbesetzung in Turin durch afrikanische Fluechtlinge, die dort fuer einige Jahre Unterkunft finden. Am Ende werden sie von der Stadt evakuiert, temporaer in eine Kaserne verfrachtet, fast wie gleich hinter Gittern. Da die Kaserne in einem gutbuergerlichen Stadtteil liegt, gibt’s ordentlich Buergerproteste, die der Film in einer Versammlung treffend dokumentiert. Wie hilflos sind doch die europäischen Staedte angesichts ihres unerwuenschten Zuwachses.

Und dann noch Edouard Bergeon’s Debut, in welchem man vergisst, dass es ein Dokumentarfilm ist. Ein Viehhof in den mittleren Pyrenäen, wenig ansehnliche Funktionsbauten, Geräte im Schlamm. Im Kuhstall schuftet Sebastien Itard. Als er ihn kennen lernte, erzählt der Filmemacher, meinte er, seinen Vater vor sich zu haben, die gleiche verbissene Mimik und von der Arbeit gekrümmte Haltung. Sein Vater, auch Viehbauer, hatte aus wirtschaftlicher Not den Freitod gewählt – wie zwischen 400 bis 800 dieses Berufsstandes jedes Jahr in Frankreich!

Auf Sebastien Itards Schultern lasten Schulden in Höhe einer halben Million Euro. Dabei ist das vierte Kind unterwegs. Sein eigentlich pensionierter Vater packt mit an, macht dem Sohn jedoch die Hölle heiß mit Vorwürfen. LES FILS DE LA TERRE begleitet anderthalb Jahre voller dramatischer Ereignisse auf dem Hof der Itards. Immer wieder, in klug montierten Einschueben, parallelisiert der Filmemacher das Schicksal seiner eigenen Familie, problematisiert so den Irrsinn eines Agrarsystems, in welchem ein 15 Stunden am Tag wie ein Sklave arbeitender Viehwirt am Monatsende mit 150 Euro Verdienst dasteht. Der Film bleibt ganz nah an seinen Protagonisten, bindet das Allgemeine in die innerfamiliaeren Beziehungen ein. Zum wirtschaftlichen Ueberlebenskampf tritt ein Generationskonflikt, den es fuer den Jungbauern zu bewaeltigen gilt.

Montag, 01.10.2012

Oberhausen in Boston

Goethe Institut Boston hat sich schnell noch angeschlossen, eine Veranstaltung zum Thema zu machen, nachdem das MoMA die Vorführungsreihe ankündigte. Ralph Eue’s DVD-Präsentation im Art déco Coolidge Theater war gut besucht, trotz deutscher Übersättigung durch die gleichzeitig stattfindende große Werner Schroeter Retrospektive im Harvard Film Archive und Symposium (Boston University/Goethe Inst. Boston, w/Gertrud Koch, C. Noll-Brinkmann, Stefan Drössler u.a.).

Am 2. Oktober findet eine weitere Vorführung mit Oberhausen-Filmen hier statt. Balagan Films, die seit etwa einer Dekade in Boston unabhängige Experimental- und Dokumentarfilme zeigen, seit einem Jahr regelmäßig im traditionsreichen Brattle Theatre in Cambridge, beauftragten mich, eine Auswahl der restaurierten Kopien zu präsentieren. Wen’s interessiert > www.balaganfilms.com

Mittwoch, 23.05.2012

Am Anfang waren Schafe

TRAS – OS – MONTES  (Antonio Reis/M.M. Cordeiro 1976)

Diese Exposition muß eine Inspiration für SWEETGRASS (Castaing-Taylor/Barbash, USA 2009) gewesen sein: Unter einem langen Schwenk über die nordportugiesische Berglandschaft Tras-os-Montes sind die unablässigen Rufe eines Hirten zu hören: „Zurück! Zurück, ihr blöden Schafe! Zurück!“. Dann ein paar Einstellungen vom Treiben der Tiere und schon ist man mit dem Hirtenjungen in einem der Dörfer der abgelegenen, armen Region.
Das entschiedene „Zurück“ klingt wie ein Kennwort. Gekocht und geheizt wird mit offenem Feuer in verrauchten Räumen, uraltes Holz überall und roher Stein. Ochsenkarren, Frauen spinnen Wolle mit Spindeln, arbeiten an einem riesigen archaischen Webstuhl. Das Transportmittel ist der Esel. Die einzige Verbindung zur Stadt und Gegenwart stellt die Eisenbahn her, die im Dunkeln an einer Station hält. Eine Mutter überläßt dieser Geisterbahn ihre Tochter, die als Dienstmädchen in der Stadt eine Stelle antritt. Wie dieser Zug mit schriller Pfeife durch die Dämmerung rattert, beschließt den Film in einem grandiosen Schwenk, dem aufsteigenden weißen Rauch der Dampflok folgend.
Alltagsmomente transformiert der Film in magische Zeitlosigkeit. Kinder gehen am vereisten Fluss spielen. Ein Junge fischt aus dem Wasser einen glatten schwarzen Stein und erfindet spontan die Legende seiner Entstehung. Ein andermal strolchen die Kinder durch ‚das große Haus‘, wo sie unter Spinnweben alte Porträts und wertvolles Mobiliar bestaunen und einen Phonographen entdecken – der wundersamerweise sogar Musik spielt. Man erfährt nichts über die Bewohner des Hauses, die es verlassen haben. Sie könnten jeden Moment zurückkehren und das Leben dort fortsetzen. Sind sie ausgewandert? Das Haus wartet mit der Zeit.
Ein Mädchen wurde vor einem Jahr verheiratet und besucht zum ersten Mal ihre Familie – sie kommt in Festtracht auf einem Esel geritten und nur diese trippelnde Wegbewältigung, minutenlang, wird gezeigt, bis sie zum Hof gelangt. Ein schlichter, gleichförmiger Ritt durch die Landschaft, die stolze Haltung der jungen Frau, zugleich ihre Kindlichkeit, und die Ungeheuerlichkeit dieses Jahres, was sich in dieser Zeit für das Mädchen verändert hat, wird ahnbar.
Eine Fahrt in spiegelglattem Fluss, der in steilen Fels gebettet gar nicht zu fließen scheint, enthebt die Handgriffe des Netzauswerfens und -einholens beim Fischfang aus jeglicher Profanität.
Am Ende resümiert ein Schmied, auf den Amboß hämmernd, seine mehr als 60jährige Tätigkeit – kein Ackerbau ohne den Schmied. Er hat, seit er 15 Jahre alt wurde, nichts anderes getan.
In wahrer Bildsprache verknüpft dieser Film die menschliche Existenz mit der Landschaft, der Arbeit, den Tieren. Und ohne story erzählt er Geschichte. Und ohne sichtliche Ausflüge in die Vergangenheit macht er die Zeit zu einem Ganzen, wo die Gegenwart nicht dominiert. Gegen Ende des Films eine einzige Referenz – der Postbote bringt einen Brief, datiert von 1970, ein Mann sendet Grüße aus Deutschland an die ganze Familie.

Samstag, 18.02.2012

Andrei Ujica at Harvard (notes)

Last October the Harvard Film Archive presented Ujica’s trilogy about the collapse of the communist states. Now the Romanian director visited and took questions after a repeated screening of THE AUTOBIOGRAPHY OF NICOLAE CEAUSESCU.

He first stated that this is a syntactic and not a compilation film. His intention was to deconstruct the propaganda footage, converting it back to quasi rushes and start his own editing, thus using a different approach than compiling pre-existing fragments.

The idea for the film title came up when his friend Peter Sloterdijk gave him Norberto Fuentes’ ‘Autobiography of Fidel Castro’.

Asked about the soundtrack he felt extremely lucky to have had the editor and sound designer in one person: Dana Bunescu. Their footage was 90% silent, so they had to partly create natural ambiences, but furthermore created several layers of abstraction, between the extremes of total silence and two pieces of the composer Ligeti (in the scene with the gigantic futuristic city model). The use of total silence for some interior scenes was meant to obtain a degree of purity; all sound was chosen for dramaturgical reasons “to break the rhythm of the propaganda river”. And then again they let audio sequences stand by themselves to a black screen (the screaming at the earthquake 1977).

Which audience did he intend his film for? Ujica had his students, the younger generation, in mind. And to the question whether he tested audience reactions before final cut and release of the film, he vehemently responded that he would never do that! (This I find extraordinary and remarkable, since all these rough cut screenings, previews etc. are common practice, and you certainly could argue a lack of artistic confidence or calculation in contemporary filmmaking and discuss the reasons for it.) He then talked quite a bit about the trauma which followed the shooting of Ceausescu and his wife – “a legal crime”, comprehensible because the dictator had created so much hate. While feeling much the same way Ujica found a new approach to Ceausescu during his work on the film. After an audience comment on the obvious humourous accents in the film (like during a parade you can see a movie theatre in the background, advertising DEEP THROAT) he described that he became more interested in the “Shakespearean tragical element” of the dictator who stayed – visible through all the pomp – the plain peasant, who he was from birth. This discrepancy fascinated Ujica and became prevalent in his film. Ceausescu was a fundamental communist, not so much a pathological/corrupt dictator like Stalin or Hitler. He really believed in the ideology of his time.

Ujica sees his film as a “fresco of modern communist rule”, capturing “the appealing structure of a completely wrong ideology”, clearly the Potemkin village… This irony is central in the film, and it cuts more than one way. Carter does not fare so well either. “The masquerade is more general”.

Mittwoch, 01.02.2012

Bresson forever

 

 

 

 

 

 

 

 

Balthazar und die beiden Männer erreichen eine Hügelkuppe, bleiben stehen, hören Stimmen, dann Warnrufe: “Stehenbleiben! Zoll!” Die Männer kehren schnell um und laufen zurück den Hang hinunter. Balthazar steht wie angewurzelt. Er schaut und horcht, nah sein Kopf, die großen Augen. Mehrere Schüsse fallen. Bei einem zuckt er zusammen, läuft los, auch den Hang hinunter. Später, die Sonne ist aufgegangen, steht er reglos in einem Unterholz, trabt langsam heraus, man sieht die Wunde an seinem rechten Vorderschenkel. Er trabt über steinige Bergwiesen, das erste Mal im Film eröffnet sich eine weite Landschaft. Das erste Mal im Film ist der Esel allein, ohne den Menschen, der ihn ankettet, tritt, prügelt. Er bleibt stehen, wirkt verloren, aber auch frei. Ein idyllisches Bild. Seine Ohren lauschen in den Wind. Entfernte Glöckchen werden hörbar. Weiter unten am Hang trippeln Schafe hinter Gebüsch hervor, von den Hunden bellend dirigiert. In der nächsten Aufnahme sind im Vordergrund Schafe und verhüllen den nun halb liegenden Balthazar. Er befindet sich inmitten einer Herde, einige Schafe beschnuppern ihn, ziehen weiter, der Kreis um ihn öffnet sich wieder. Die Hunde treiben die Schafe weiter. Unablässig läuten die Glöckchen. Dazu die Schubert-Sonate. Balthazar liegt ausgestreckt und stirbt.

Zum soundsovielten Mal kommen mir die Tränen mit den Schafen. Es ist der Tod, wie im Himmel. Erst mit den wuscheligen Lämmern nimmt die Trauer ihren Lauf. Das Handeln der Menschen in diesem Dorf zu sortieren, kommt später.

Als einziger Film Bressons zeigt dieser einen kompletten ‘Lauf des Schicksals’ – das gesamte Leben Balthazars. Das macht ihn fast lehrfilmhaft, die Kette der Stationen spult sich ab, in unabwendbarer Eigendynamik.
Warum ist Gérard von Anfang an so böse? Warum reizt Marie von Anfang an seine Verwegenheit, warum will sie weg aus dem Dorf? Warum ist der Vater so stolz und stur? Warum trinkt Arnold? Warum ist der Händler geizig? Alle Todsünden sind vertreten. Materielles Denken, Egoismus, Mißachtung von Nächstenliebe und Gemeinsinn sind die gemeinsamen Nenner. Auch die Bäckersfrau behandelt Gérard nur gut, weil sie sich einen Sohn wünscht. Und hofft, ihn mit Geschenken zu gewinnen. Die Menschen behandeln sich untereinander nicht anders als den Esel. Hierarchien und Standesunterschiede, das Streben nach materiellen Gütern und seine Konsequenzen, bilden die unüberwindlichen Barrieren zu einem besseren Leben. Ein Esel ist nur das Vehikel im Stall.

Indem Bresson nicht erklärt und deutet, sondern konkrete Abläufe zeigt, muss der Zuschauer seine eigenen Urteile fällen. Das gezeigte Universum läßt wenig Hoffnung auf das Gute im Menschen. Aber in den Bildern, den Gesichtern, Handlungen leuchten auch immer wieder ganz konkret Unschuld, Schönheit, Mut, Mitempfinden, Unsicherheit… Es überträgt sich ein Impuls der Empörung auf den Zuschauer und diesen will der Regisseur erreichen. Und dazu hat er seine speziellen Methoden entwickelt.

Als ich die Filme Bressons vor etwa 30 Jahren zum ersten Mal sah, empfand ich die gleiche Bewunderung, damals gepaart mit Irritation und Ratlosigkeit über den schrecklichen Taten und aussichtslosen Perspektiven. Seine formale Radikalität zog mich in den Bann und beeinflusste mich, auch nach Strukturen zu suchen, gegen die konventionellen Dramaturgien. Und trennte mich von Leuten, die nicht affiziert wurden von diesen Filmen. Heute sehe ich hinter ihnen bewußter den Mann aus einer anderen Generation, behalte eine größere Distanz zu den Inhalten, sehe und genieße die Klarheit seiner Werke, die Koordinaten seines Denkens, die sich für mich nur etwas anders formulieren. Es ist nur der Lauf der Zeit, eine historische Oberflächenveränderung, das religiöse Vokabular kann übersetzt werden. Wie ketzerisch ist das Ende von LE PROCES DE JEANNE D’ARC – ein kleiner Hund schaut verwundert hoch zu Jeanne und den Menschenreihen rechts und links und dann geht das Kreuz selbst in Rauch auf. Und wie beeindruckend ist Bressons eigener Weg der Radikalisierung besonders mit seinen letzten Filmen, die zeigen wie sehr er in der Gegenwart lebte. Wenn ich heute in der Zeitung lese, dass in USA mehr Leute im Gefängnis sitzen als jemals in Stalins Gulags – denke ich an Bresson.

Dienstag, 31.01.2012

Cattelan – Bresson ?

In einem langen Artikel zu einer Ausstellung von Maurizio Cattelan nimmt der Autor Barry Schwabsky am Ende Bezug auf zwei Filme von Robert Bresson. Die Filme sind in NY gerade gezeigt worden und werden offensichtlich reflektiert.

The Nation, Jan 30, 2012
(….. /end of article:)

At times, while looking at this exhibition, I couldn’t help thinking of Robert Bresson’s Au hasard Balthazar, a strange film in which a long-suffering donkey is finally shown to be a kind of saint through its endurance of work and pain. I know this allusion will seem absurd to those who revere Bresson as a saint of cinema, a paragon of formal and spiritual purity, whereas Cattelan seems to be a mocker, a wiseguy. But when I look at that Novecento hanging in the Guggenheim—it was once the hide of a living thing named Tiramisu—I can’t persuade myself to believe that Cattelan is kidding, no matter how sophisticated I might be if I could. The same goes for Not Afraid of Love (2000), the sculpture of a baby elephant trying to hide under a white sheet with tiny eyeholes and one great big hole for its trunk. Its alarmed little eyes—do artificial eyes really have expression, or is this my illusion?—can only, I imagine, be those of a certain Cattelan in the moment when it occurs to him that his art of evasion, his eternal Torno subito, can never disguise him for long. For Spector, the white sheet with the holes conjures up visions of the Ku Klux Klan and their robes. I see her point, but I can’t quite see it like that. I think of the similar-looking robes worn by Catholic penitents, most notably by the Nazarenos of the Holy Week processions in Seville. Cattelan’s art is full of the imagery of Catholicism, just as Bresson’s was. His mother’s piety must have left its mark on him.

In another Bresson film, the main character, a self-righteously rebellious young man, gets into a political conversation with someone on the bus, and passengers nearby chime in with opinions. “It’s the masses who determine events,” says one. Another asks, “So who is it that makes a mockery of humanity? Who’s leading us by the nose?” A third passenger responds, “The devil, probably,” as the bus crashes. Cattelan may have stepped off the bus just in time.

Montag, 30.01.2012

The Complete Bresson T-shirt

In a joint venture (like quite often) the MOMA, NY, and the Harvard Film Archive, Boston, present a complete retrospective of all Bresson feature films. On the occasion, and this is a novelty at least for the decade I am attending this theatre, the HFA sells a T-shirt. If someone over there in Germany is interested, I am willing to organise transportation.

Claire Denis als Extra bei LES QUATRE NUITS D’UN REVEUR

Notizen – Claire Denis berichtete über ihre Woche als Statistin bei Bressons Dreharbeiten von LES 4 NUITS D’UN REVEUR am 29.1.2012 im Harvard Film Archive

When she was entering film school, Bresson was there like an obscure planet. On the set he was intimidating, not only mysterious. He used to position people by grabbing them at their neck, walking them like animals. He was very good looking, like a prince from the Italian renaissance.
Denis admired the heroine (Isabelle Weingarten), impressed by the perfection of her white skin and the shiny black hair. Nobody was allowed to speak directly to Bresson, exception Mylène (van der Mersch/ assistant dir). Mostly they were only whispering on the set, full of respect of the director – for her taste a little too much respect.
LES QUATRE NUITS D’UN REVEUR seemed for her like from another age, later she identified much more with LE DIABLE PROBABLEMENT, that represented her generation much better.

Samstag, 28.01.2012

L’ARGENT, Bresson

Wenn Yvon Targe das alte Gefängnis verläßt, ist er nicht mehr in der selben Welt. Bildfüllend leuchtet das Schild “Hotel Moderne” im Stil der Jahrhundertwende. Dann betrachtet er das Schaufenster eines Spielzeugladens, wie eine ferne Erinnerung. Dabei wird er von der altmodisch schwarz gekleideten Frau bemerkt, die bei der Tele Communications ihre monatliche Rente empfängt. Yvon folgt der Frau, weil er das Geld in ihrer Tasche gesehen hat, scheinbar bis an den Rand der Stadt, zu einem ländlichen Anwesen, es geht über einen Steg, einen Graben, durch den Garten, es wird Gemüse angebaut. Alles in dem Haus ist alt, die Familie scheint wie im 19. Jahrhundert zu leben. Die Frau schrubbt die Wäsche am Fluß, erntet die eigenen Kartoffeln. Die Kaffeekanne wird in heißem Wasser warmgehalten. Die Küche, das Geschirr, wie aus dem Museum. Der Mann spielt Klavier. Er trinkt Wein dazu, das Glas kippt auf die alten Dielen. Die Frau entschuldigt sein Trinken, er mache das seit dem Tod seiner Frau. Auch hier ist der Alkohol anwesend.

Der anschließende, so schwer begreifliche Mord an dieser Familie – die Yvon doch wissentlich aufnimmt und menschlich behandelt – wird vom Film visuell in eine andere Zeit zurückversetzt, die der Vorlage Tolstois. Bresson dockt die Gegenwart an die Vergangenheit. Zurück zu Schuld und Sühne in einem anderen Kanon. Eine  effektive Rückkopplung – das Geld, Lüge und Verrat, bürgerliche Scheinheiligkeit, die ganze Litanei, regieren unverändert in der modernen Welt. Und der Protagonist, als tragischer Held, kann nur alles zerschlagen.


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