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Sonntag, 19.07.2020

Abraham Polonsky: Widerstand in Hollywood (7)

(1) Wolf-Eckart Bühler: Abraham Polonsky: Widerstand in Hollywood (7. Juni)

(2) Der gefährlichste Mann in Amerika? Abraham Polonsky im Gespräch mit WEB (14. Juni)

(3) WEB: Body and Soul (21. Juni)

(4) WEB: Force of Evil (28. Juni)

(5) WEB: Nochmals: „Willie Boy“ (5. Juli)

(6) WEB: Ein Anderer werden (Abraham Polonsky). Ein Radiotext (12. Juli)

(7) WEB: Ein Anderer werden. Ein Filmkritik-Text

***

Eine achtteilige Serie. Die abschließende Folge am nächsten Sonntag.

Montag, 13.07.2020

Retrospektive Wolf-Eckart Bühler

Das Filmmuseum München zeigt ab morgen alle Filme Wolf-Eckart Bühlers auf seinem vimeo-Kanal, darunter AMERASIA als Premiere der restaurierten Fassung.

Jeder der Filme wird vier Tage lang zu sehen sein.

14. bis 17. Juli:

Leo T. Hurwitz: Filme für ein anderes Amerika
BRD 1980 | 44 min

Über Irving Lerner
BRD 1981 | 11 min (*)

Innere Sicherheit: Abraham Polonsky
BRD 1981 | 44 min

18. Bis 21. Juli:

Leuchtturm des Chaos
BRD 1982 | 118 min

22. bis 25. Juli:

Vor Anker, Land unter. Ein Film mit Sterling Hayden
DE 1982 | 44 min

Der Havarist
BRD 1983 | 100 min

26. bis 29. Juli:

Amerasia
BRD 1985 | 97 min
Premiere der restaurierten Fassung

30. Juli bis 2. August

Doppelleben: Paolo Conte
D 1987 | 44 min

Vietnam! Über den Umgang mit einer leidvollen Vergangenheit
DE 1994 | 44 min

Sonntag, 12.07.2020

Abraham Polonsky: Widerstand in Hollywood (6)

(1) Wolf-Eckart Bühler: Abraham Polonsky: Widerstand in Hollywood (7. Juni)

(2) Der gefährlichste Mann in Amerika? Abraham Polonsky im Gespräch mit WEB (14. Juni)

(3) WEB: Body and Soul (21. Juni)

(4) WEB: Force of Evil (28. Juni)

(5) WEB: Nochmals: „Willie Boy“ (5. Juli)

(6) WEB: Ein Anderer werden (Abraham Polonsky). Ein Radiotext

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Eine achtteilige Serie. Die weiteren Folgen wöchentlich sonntags.

Sonntag, 05.07.2020

Abraham Polonsky: Widerstand in Hollywood (5)

(1) Wolf-Eckart Bühler: Abraham Polonsky: Widerstand in Hollywood (7. Juni)

(2) Der gefährlichste Mann in Amerika? Abraham Polonsky im Gespräch mit WEB (14. Juni)

(3) WEB: Body and Soul (21. Juni)

(4) WEB: Force of Evil (28. Juni)

(5) WEB: Nochmals: „Willie Boy“

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Eine achtteilige Serie. Die weiteren Folgen wöchentlich sonntags.

Nochmals: „Willie Boy“

von Wolf-Eckart Bühler

Man erfährt etwas: übers Spurenlesen, über das Irreführen von Verfolgern, über mögliche und unmögliche Fluchtwege.
Man erfährt etwas: über die Beziehungen zwischen MOTION und EMOTION.

Bewegung als rein physischer Akt, als ein einziges VORWÄRTS.
Willie und Lola sind zu Fuß, die Verfolger reiten. Folglich sieht man die Verfolgten viel öfter in Bewegung als die Verfolger.
Die einen rennen, hasten, eilen, trotten, taumeln, stolpern, straucheln, stürzen, fallen, keuchen; selbst ihre Pausen sind atemlose, aufgeschobene und unterbrochene Bewegung nur. – Die anderen rasten, planen, erkunden, stehen herum; und selbst ihre Bewegung ist Ruhe noch, für sie bewegen sich die Pferde.
Später, als Lola tot ist, sieht man in Parallelmontage einmal Willie, einmal Coop bei der Durchquerung einer wüstenähnlichen Öde. Man erfährt: HITZE. Die Bilder sind hell, gleißend, fast weiß.
Man sieht, daß der Schauspieler Robert Blake als Willie laufen nicht nur simuliert: man sieht ihn laufen! In seinem Gesicht kann man lesen: die Mühe, die es kostet, in der Hitze sich vorwärtszuarbeiten, und den Willen durchzuhalten. Man sieht laufen; das Bild ist laufen. – Coop, lässig auf seinem Pferd, Spuren suchend, wischt sich den Schweiß von der Stirn.
Man sieht: den stoßweisen Atem, die gequälten Augen Willies. Man sieht in langen, hitzeflirrenden Totalen: seine weitausgreifenden Schritte; Schritte, wie man sie bei äthiopischen oder mexikani­schen Marathonläufern sehen mag, aber nie bei Weißen…

Coop gerät erst dann in eigentliche Bewegung, als die Willies bereits versiegt. Des Verfolgten Triebfeder war der Wille zur Flucht, die des Verfolgers halbherzige Pflicht gewesen; nun ist da nur noch Resignation, dort der Wille zur Selbstbestätigung: die Bewegung verlagert sich.
Das „Finale“ findet in den Bergen statt, auf und zwischen Felsen. Willie wartet auf seinen Tod: er sitzt da, ruhig, dunkel-traurig, eingehüllt in das, was war; den Blick groß unbeweglich, schaut er in die untergehende Sonne: verloren aus dem Leben. (Ähnliches kann man höchstens noch bei Straubs Chronik erfahren; da z. B., wo es heißt: „Ich freue mich auf meinen Tod, ach hätt’ er sich schon eingefunden…“)
Als Willie tot ist, sieht man – groß – seine staubigen, durchlöcherten Schuhe! Willie anfangs zu Lola: „Wir müssen nachts laufen —und tagsüber auch!“

Die Beziehungen der beiden Paare Lola – Willie und Dr. Arnold – Coop werden in langen Parallelmontagen einander konfrontiert. Das Fehlen jeglicher Peinlichkeit (die eine solche Konfrontation sonst fast automatisch nahelegt) resultiert nicht nur aus der vollkommenen Aufrichtigkeit des Autor-Regisseurs und seiner Darsteller, sondern, und mehr noch, aus der Absenz jeglicher Übersteigerung oder Persiflage:
Die Beziehung zwischen Dr. Arnold und Coop ist normal, wenn man darunter das Alltägliche, Gewöhnliche versteht: das, was ist. – Die Beziehung zwischen Lola und Willie ist normal, wenn man darunter die Vorstellung, den Wunsch, den Traum versteht: das, was sein sollte.

In einem Billardsaal redet einer über Demokratie: „Wenn wir einen Indianer hier reinlassen, als ob ihnen das Land gehören würde: das nenne ich wahre Demokratie!“
Einer sucht verzweifelt einen Billardpartner. Als Willie sich anbietet, behandelt ihn dieser erst wie Luft (er schaut gar nicht hin), dann wie Dreck („Hau ab, verkriech dich bei deiner Sippe!“).
Als Coop nach dem Mord den Marshall anruft, meint dieser: „Wie gut, daß nur ein Indianer nur einen anderen Indianer abgemurkst hat!“
Ein versoffener Penner, der das „Glück“ hat, Weißer zu sein und deshalb mitjagen darf, ballert einmal bei einer nächtlichen Suche wild drauflos. Seine hysterische Entschuldigung „Da hat sich was bewegt“ wird von der Mehrzahl akzeptiert, obwohl auch einer von ihnen hätte getroffen werden können.
Willies Freund Charlie will einmal vorausreiten, um mit Willie zu reden: „Ihr wollt doch, daß er sich (lebendig) ergibt?“ Das zögernde „Ja, natürlich…“ läßt nur zu deutlich die Gier nach ungezügelter Aggression durch.
Irgendwo in der Nähe soll ein Empfang für den Präsidenten stattfinden. Der Marshall wird von Journalisten bedrängt: „Befürchten Sie Zwischenfälle?“ Der: … einen Präsidenten hier umlegen ist leicht…“ Die ganz allgemeine Skepsis des Marshall angesichts der Tatsache, daß die USA leider immer noch kein perfekter Polizeistaat seien, wird prompt mißverstanden: „Ah, Sie meinen diesen Indianer…“ Und als dann die Verfolger Willies, der ihnen die Pferde weggeschossen und dabei zufällig einen verwundet hat, hysterisch kabeln: „Hier ist die Hölle los, Indianerbande …“ etc., wird daraus flugs: „Zwei bis drei Tote, ein ganzer Stamm gegen die Regierung …“ etc.

Ganz zu Anfang, als er allein auf einer Wiese seinen Whisky trinkt und Sheriff Coop vorbeireitet, verdeckt Willie schnell, aber ganz ohne Hast, die Flasche mit seinem Hut. (Our experience?)
Als Lola sagt, sie wolle Lehrerin wer­ den: „Willst du ihre Lügen lehren?“ — denn: was könnte sie anderes lehren als das, was ihr beigebracht wurde, ist doch durch die Lüge ihr Wissen um die Wahrheit so verstümmelt, daß sie diese nicht zu artikulieren vermöchte? (Our experience?)
Als Lola einmal das Gefängnis er­ wähnt: „Da war ich schon mal. Nur, weil ich gesoffen hatte, dreißig Tage.“ (Our experience?) „Die Indianer vertragen kein Gefängnis, sie sind nicht wie die Weißen dafür geboren.“

Man erfährt, direkt und emotional: was es heißt, einer Minderheit anzugehören – was eine Flucht ist und warum Menschen vor Menschen flüchten müssen – was eine Verfolgung ist und warum Menschen andere Menschen verfolgen — was eine Strecke Wegs bedeutet, die man hinter sich zu bringen hat —was Liebe ist und was Liebe sein könnte — was Erotik ist (Die wunderschöne Katherine Ross läuft dauernd in einem waden­langen Rock herum. Als sie an einem Tümpel sich den Rock hochschlägt, sieht man ihre langen braunen glatten nassen bloßen Beine: das ist erotischer als jedes splitternackte Starlet) —was ein Raum ist und was Perspektive (diese drücken­den Räume, die aber immer irgendwo dem Licht offen sind: Türen, Fenster, Luken) — was Natur ist (Fels, Stein, Geröll, Wasser, Feuer, Licht).


Erstveröffentlichung in Filmkritik 2/1970, S. 97–98.

[Teil 5 der Serie „Abraham Polonsky: Widerstand in Hollywood“ mit Texten von Wolf-Eckart Bühler; Tell Them Willie Boy Is Here, USA 1969, Regie: Abraham Polonsky]

Mittwoch, 01.07.2020


Sonntag, 28.06.2020

Abraham Polonsky: Widerstand in Hollywood (4)

(1) Wolf-Eckart Bühler: Abraham Polonsky: Widerstand in Hollywood (7. Juni)

(2) Der gefährlichste Mann in Amerika? Abraham Polonsky im Gespräch mit WEB (14. Juni)

(3) WEB: Body and Soul (21. Juni)

(4) WEB: Force of Evil

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Eine achtteilige Serie. Die weiteren Folgen wöchentlich sonntags.

Sonntag, 21.06.2020

Abraham Polonsky: Widerstand in Hollywood (3)

(1) Wolf-Eckart Bühler: Abraham Polonsky: Widerstand in Hollywood (7. Juni)

(2) Der gefährlichste Mann in Amerika? Abraham Polonsky im Gespräch mit WEB (14. Juni)

(3) WEB: Body and Soul

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Eine achtteilige Serie. Die weiteren Folgen wöchentlich sonntags.

Body and Soul

von Wolf-Eckart Bühler

Nacht, Charlie alleine, traurig. Fährt in die Stadt, wo er morgen boxen soll. Besucht Mutter, will bei ihr schlafen, aber Peg ist da, will ich nicht. Er ist verzweifelt, auch weil Ben tot ist, Mutter wirft ihn raus, als er Peg küssen will. Draußen stehen Leute um sein Auto, warten auf den berühmten Mann.

Holt girlfriend Alice im Nachtclub ab; Quinn habe schon nach ihm gefragt… sein Manager wartet auf ihn zu Hause; Charlie schickt ihn wütend weg; Alice macht sich Sorgen um ihn; er: Don’t bury me. I’m not dead yet! Denn der Kampf ist fixed, er, 35, soll als Champ abtreten. Stolz: I made my money… I made my name… I made me… punching. Aber hat gegen sich selbst gewettet. Roberts: You know the way betting is, Charlie. The numbers are in. Everything is addition and subtraction. The rest ist conversation. Charlie denkt, ist versucht, daß er gewinnen kann. Verzweifelt. Erinnert sich, wie er Peg kennengelernt hat.

Als er Amateurboxer war. Fest, Tanz. Sie nimmt ihn mit nach Hause. Intellektuell, Malerin. Vorsichtig. – Im pool room macht ihn Freund mit Quinn bekannt. Er will Professional werden, Mutter zu Vater: 20 years ago I told you if we live where it’s nice, he’ll grow up a nice boy and learn a profession. If we live in a jungle, our Charlie’ll be a wild animal. Er: Ich will nicht wie Vater enden, im candy store… I want to be a fighter. Mutter: So fight for something, not for money. Dann Speakeasy next door blown up, Vater tot nebenan. – Arbeitslos. Freund: Look at the want ads. Maybe somebody died, and you can carry the corpse. Ma hat Boxen verboten. Soll Peg zum Vorstellen vorbeibringen. – Fürsorge. We don’t want any help. Tell ‘em we’re dead. We don’t want any help… Get me that fight from Quinn. I want money… You understand! Money. Money. Money. – Ma: No! I forbid. I forbid. Better take a gun and shoot yourself. – I need money to buy a gun.

Jahre später. Er kriegt eine Chance, aber nur durch Roberts, heißt es. What does Roberts want, Quinn?, fragt Shorty, Charlies alter Freund. Nothing much, only… Charlie! – SH: They’ll be cutting you to pieces. C.: It’s only more money cut more ways. A bigger pie, more slices… more to eat for everybody…

SH: Peg, you two still get married? – I haven’t had time yet to say no. – Get married right away. – Why, have I got a rival? – Yeah. Money. You know what C is. What they’re making him. A money machine. Like gold mines, oil wells, ten percent of the US mint. They’re cutting him up a million ways. You’re the only one left, Peg. The only one…

Champ Ben und Manager Arnold haben Schulden bei Roberts, da lange keine Kämpfe nach schwerer Verletzung; Roberts zwingt ihn, gegen Charlie anzutreten. Zu Quinn: I like fighters better than horses. So we don’t tell Charlie. Let him go in fighting and knock Ben out. But Ben’s sick. Charlie might kill him. – The crowd likes a killer, Quinn. Charlie’s a hard fighter. It’ll look fixed if he takes it easy. Roberts besucht Charlie, als der gerade beschlossen hat, Peg zu heiraten. What do you want? – I only make one kind of deal, Charlie. From now on until the time you… retire, 50 percent. – 50 percent of what? Quinn gets 30%, Shorty gets 10%, I get 60. – We start fresh, C. You’re a fresh young kid, and we start fresh. There’s always 100%. I take 50, and you take 50. – Okay. What about Quinn? He’s your manager, and we both need him. I’ll give him 5%, and you give him 5%. Hochzeit wegen Kampf verschoben. Alice, Freundin von Quinn, sehr interessiert and C.s Kampf, Ben KO. Shorty entsetzt, daß Ben krank war. C. will‘s nicht glauben im Siegestaumel. SH: People want money so bad that they make it stink. And they make you stink. SH verläßt Siegesfeier, wird überfahren, tot. Peg: If one could only say, C., that it all started here or there… But we’re in something horrible… and we have to get out… C.: What can I do? Go back to the candy store? It was an accident. (.) You’ll be like Ben. – I’m too smart for that. – I can’t live this way. You stop now, or I stop. – It’s not fair. – Was it fair for Shorty to die? – It was an accident. For Ben to fight with a blood clot? – I didn’t know. – It’ll always be not knowing… or accidents… all the time worse and worse. One way or another. Er ist allein.

Ende Rückblende. Der Kampf mit Marlowe. C. sehr müde. Roberts wechselt Zeichen mit Marlows Manager, der gibt Zeichen an M. M. haut plötzlich C. zusammen. Roberts schon gegangen. KO.
Rückblende: Vorbereitung auf Kampf gegen Marlowe, Ben ist Helfer. Roberts an. You’re not thinking, C., you’re dreaming. It’s natural after all these years sitting on top. Living good, maybe too good, a fight now and then, the dough rolling in and the dough rolling out… takes your mind off the facts. You begin to think it can go on forever… How much you got, C.? (gibt Umschlag) There’s 60 grand in there, C. Want to count it? 60 grand at 2:1. Your end of the purse at 2:1. I’m good at figures. You don’t like fighting anymore, you like living too much. Alright, live the easy life. Maybe you open a café… You punch the cash register instead of getting punched… C., let’s stop being nice to each other… You’re into me for a lot of dough. I’ve made my arrangements with Marlowe and a lot of other people. Nobody backs out now… When you get ready to bet. C. give it to me. I’ll bet it for you. I’ll get you a few extra points. – C. zu Ben: Here, take the money. It’s not like people. It’s got no memory. It doesn’t think. – geht zu Peg, wieder einmal, vor dem Kampf, will sie zurück, er kriege Geld usw. Sie will es nicht, nimmt es aber dann doch. My last fight. Gibt dann zu, der Kampf sei fixed. Will das Geld zurück, um noch mehr Geld zu kriegen. Peg wirft ihn raus. – Ben macht sich Sorgen, daß C. Kampf arrangiert hat, will C. überreden weiterzumachen. Roberts wirft ihn raus, will mit Gewalt. Ben stolpert, fällt, tot.
C. erwacht im Ring. Wütend, will jetzt kämpfen. Auch Quinn wußte davon nichts. C. am Ende, aber kämpft, landet KO. Roberts: What makes you think you can get away with this? – Whatta you going to do, kill me? Everybody dies. Mit Peg weg.

(1981)

[Teil 3 der Serie „Abraham Polonsky: Widerstand in Hollywood“ mit Texten von Wolf-Eckart Bühler; Body and Soul, USA 1947, Regie: Robert Rossen, Drebuch: Abraham Polonsky]

Samstag, 20.06.2020

Wolf-Eckart Bühler, 1945 – 2020

Wolf-Eckart Bühler gehörte ab 1970 zu den prägenden Autoren und Redakteuren der Filmkritik. Ihm ist das erste Themenheft der Zeitschrift im Januar 1972 zu verdanken, ein detailliertes Kompendium von „John Ford’s Stock Company“. Sam Fuller, gerade in Köln, um den Tatort Dead Pigeon on Beethoven Street zu drehen, meldet sich euphorisch aus dem Senats-Hotel, „because it’s such an original idea giving credit to all those people seldom mentioned, hardly ever seen in magazines“.
Es folgten Hefte zu Piratenfilmen und – immer wieder – zur Geschichte der Linken in den USA und der Blacklist; wohl niemand in Deutschland hat sich so intensiv wie Bühler mit Irving Lerner (Januar und Februar 1981) und Leo Hurwitz (Februar 1979) beschäftigt. Auf John Ford ist Bühler, auch dies im Zusammenhang mit der Blacklist, ausführlich zurückgekommen („John Ford. Tribut an eine Legende“, August 1978): „Eine Reise durch Amerika, die Abgründe des Monument Valley und die Amerikanische Linke der Dreißiger Jahre, The Informer, Kommunisten, Volksfront und Reaktion, Amerikanische versus Unamerikanische Aktivitäten, The Grapes of Wrath, John Ford zieht sich zurück, Post Scriptum, er gewährt einem Kommunisten ein Interview.“ Peter Nau: „Zeitweise hatte die Filmkritik überhaupt keine Autoren, und der Bühler lag Tag und Nacht im Bett und hat Hefte vollgeschrieben – nur um die Zeitschrift zu retten.“
Anfang der 1980er Jahre dreht Bühler auch Filme für die WDR-Filmredaktion. Ein so schönes und liebevolles, zugleich so schonungsloses Porträt wie Leuchtturm des Chaos – ein paar Tage mit Sterling Hayden auf seinem Boot vor Besançon – wird man vergeblich suchen.

Im September 2007 las Bühler im Filmmuseum München aus Anlass des 50. Geburtstages der Filmkritik Auszüge aus seinem Text „Tod und Mathematik“, der kürzlich wiederveröffentlicht wurde. Zuvor erinnerte er sich an den Umbruch der Zeitschrift Anfang der 1970er Jahre: „Hefte mit Schwerpunkten hatte es seit der Vergesellschaftung, sprich: seit der Gründung der Filmkritiker-Kooperative 1970, hin und wieder schon gegeben. Aber das waren Ausnahmen und sollten es auch bleiben. Die Filmkritik hatte die Grenzen der konventionellen Herstellung einer Zeitschrift gesprengt; die Grenzen der konventionellen Rezension, der Einzelkritik blieben unangetastet. Dabei war der programmatische Name der Zeitschrift, eben Filmkritik und nicht Kino oder Kinohefte oder dergleichen, zu jener Zeit – Ende der 1960er Jahre – längst obsolet geworden. Was vor zehn Jahren, ja noch vor fünf, undenkbar gewesen war: Man musste nicht mehr in der Filmkritik publizieren, um über Film schreiben zu können und gehört zu werden. Und dies nicht zuletzt dank einiger Filmkritik-Autoren, die beispielsweise Filmredakteure der Süddeutschen Zeitung, des Spiegel etc. geworden waren. Eigentlich Anlass genug, umzudenken und auch Anderes und anders zu produzieren. Doch das war nicht oder zumindest viel zu wenig der Fall. Dass man auch anders über Film und Kino schreiben kann, war akzeptiert. Aber die Grundlagen zu recherchieren und zu vermitteln, weshalb und unter welchen Umständen und zu welchem Zweck es überhaupt Filme und Autoren und Genres und Filmsprache und Filmgeschichte und Filmpolitik gibt, das hätte eine andere Ausrichtung, eine andere Form der Zeitschrift gefordert. Zu langen und erbitterten Kontroversen führte insbesondere das Vorhaben von Helmut Färber und mir, obschon rein volumenmäßig allenfalls ein 2/3-Themenheft, eine Bestandsaufnahme aller in Deutschland gezeigten Western seit 1962 vorzulegen. Ich zitiere: ‚Eine Filmographie von Western – eine Aufschlüsselung des Produkts Western-Film nach seinen vielen Produzenten – ist Einsicht in die Entstehungsgeschichte eines Filmes, eines Genres, einer Art zu produzieren. […] Diese Zeitschrift, die seit ihrem Bestehen nur wenig getan hat dafür, daß einer einen Sinn bekommen kann für das, was Filmgeschichte ist und Umgang mit Filmen, soll von nun an öfter der Ort sein für Anregungen zu einer Entdeckung und Erforschung…‘
Zum endgültigen Bruch führte mein John Ford-Projekt, das erste regelrechte Themenheft – ein Thema, ein Autor, oder zumindest Dirigent/Supervisor. Das Sujet an sich, John Ford, wäre ja noch akzeptabel gewesen. Aber einen Kosmos zu beschreiben oder gar zu definieren, durch eine Arbeits- bzw. Herstellungsweise – in diesem Fall durch John Fords Schauspielerensemble –, das schlug dem Fass den Boden aus. Abgang der alten Garde.
Es folgte, für eine längere Weile zumindest, das Paradies. Ab jetzt war alles möglich. Die Filmkritik war immer noch keine verschworene Gemeinschaft, wie es nach außen hin vielleicht vielen erschien. Aber sie war eine Ansammlung von Individualisten, die sich gegenseitig respektierten, und mehr noch: förderten. Mit einer Einschränkung, die aber nichtsdestoweniger viele Jahre hindurch wie durch ein Wunder gemeistert wurde, der permanent unsicheren Finanzlage. ‚Vielleicht gab es niemals sonst‘, schreibt Markus Nechleba in seinem Programmtext zu dieser Veranstaltung, ‚eine solche, von Produktionseingriffen und Formzwängen freie Möglichkeit der Publikation wie hier.‘ Da hat er nicht unrecht.“

Bühler verfasste – ich glaube zu Beginn der 1990er Jahren – gemeinsam mit Hella Kothmann den ersten und bis heute maßgeblichen deutschsprachigen Reiseführer für Vietnam, der inzwischen in der 13. Auflage vorliegt. In den letzten zwanzig Jahren seines Lebens zog er sich vom Schreiben zurück. Aus einer Email im Dezember 2019: „Das fiel natürlich nicht leicht, ganz im Gegenteil – das Schreiben lassen war in etwa so wie das Atmen sich abzugewöhnen –, aber… was soll ich sagen: irgendwann war‘s gut; hatte ich meinen Frieden damit gemacht.“

Noch einmal Sam Fuller aus dem begeisterten Brief an „Mr. Bühler” aus Anlass des John Ford-Hefts: „The item that shocked me was about Carleton [G.] Young being dead. I had no idea!”

Vor einigen Tagen, am 16. Juni 2020, ist Wolf-Eckart Bühler gestorben und es ist an uns, mit dem Schock umzugehen.


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