Donnerstag, 30.06.2022

Filmtheorie und Filmgeschichte

Am 1. November 1984 fand an der DFFB eine Podiumsdiskussion zum Thema „Filmtheorie und Filmgeschichte“ statt, an der Helmut Färber, Ulrich Gregor, Norbert Grob, Gertrud Koch, Hans-Helmut Prinzler und Dominique Villain teilnahmen. Geleitet wurde die Diskussion von Heinz Rathsack.

Drei Auszüge aus den Wortbeiträgen von Helmut Färber:

„Was ein Filmemacher wollte, ist mir völlig gleichgültig und interessiert mich überhaupt nicht. Mich interessiert nur das, was er gemacht hat.
Nun zum Thema, was zu einer Filmtheorie-Ausbildung gehört: ich glaube, daß die Situation, in der wir uns hier im Moment befinden, ein bisschen glücklicher ist, als Sie das offenbar denken. Es ist ja gar nicht so, daß wir mitten in der Wüste Sahara sitzen und die allerersten Leute in der Geschichte der Menschheit sind, die sich Gedanken machen, was es für eine Theorie an dieser Filmschule geben könnte. Es gibt zum Beispiel einen bis ins Letzte ausgearbeiteten Lehrplan für das Studium der Filmregie von Eisenstein, der zum Lesepensum des ersten Studienjahres gehören sollte.“

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„Über die eventuelle Geschichtslosigkeit zu reden ist kein Ausweg. Wir reden hier darüber, was möglich ist, was für eine produktive Weise, Filme zu sehen, es gibt. Es reicht nicht aus, einen Film zu sehen und darüber zu reden. Wichtig ist auch zu lesen, was über diesen oder jenen Film geschrieben wurde. Ich kann mir vorstellen, was hier praktiziert werden könnte: Im Zusammenhang mit Filmesehen auch das zur Kenntnis zu nehmen, was jemand über einen Film geschrieben hat. Aber das Wichtigste in so einem Prozeß ist die Kontinuität.“

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Wenn ich nicht denken kann, weil ich produzieren muß, kann ich nicht produzieren, weil ich produzieren muß.“

[aus dem Protokoll der Veranstaltung]

Montag, 30.05.2022

Retrospektive Ingemo Engström

Vom 2. bis 19. Juni werden im ARSENAL die Filme Ingemo Engströms gezeigt; neben ihren eigenen Regiearbeiten sind auch Filme von Gerhard Theuring, Harun Farocki, Wim Wenders zu sehen; dazu von Engström ausgewählte Filme von Robert Bresson, Alexander Kluge und Mizoguchi Kenji.

Die Retrospektive wird veranstaltet vom Harun Farocki Institut gemeinsam mit dem Arsenal – Institut für Film und Videokunst e.V.. Zu Gast ist neben Ingemo Engström und Gerhard Theuring am 19. Juni auch Katharina Thalbach.

Wir veröffentlichen zwei Texte von Ingemo Engström erneut:

Etwas über Schlußbilder und meine Liebe zum Kontinent
aus: Filmkritik Nr. 231, März 1976, S. 128–141. Heftredaktion: Ingemo Engström (Cover | Inhaltsverzeichnis)

Jahre der wirksamen Träume
geschrieben für die Retrospektive im Filmmuseum München, die von April bis Juni 2019 stattfand.

Mit Dank an Ingemo Engström.

Samstag, 28.05.2022



Montag, 09.05.2022

Montag, 25.04.2022


Samstag, 12.03.2022

Montag, 24.01.2022

Freitag, 21.01.2022

Weltenbummler

In einer seiner Fernsehsendungen überquert Hardy Krüger auf dem Weg zu einer kultischen Stätte einen leeren Platz und anstatt dieses Nicht-Ereignis mit ein paar kommentierenden Sätzen zu überdecken, sagt er: „Augenblick mal.“ Und setzt sein Reden aus dem Off erst fort, wenn er im Bild den Platz überquert hat und wieder was passiert. (Eine Opfergabe der Einheimischen.) Diese Sprechpause kommt völlig unerwartet, auf seltsame Weise knüpft sie zwischen Reden und Zeigen eine gestische Verbindung.

Ein Bild aus Hartmut Bitomskys schönem Film REICHSAUTOBAHN: Unter einer Brücke sitzt er da und blättert in einem Buch mit Fotografien der alten Autobahn. Der Weltenbummler seinerseits bedient sich am Abend im Hotelzimmer eines Fotobandes, um seinen und unseren ersten Eindruck vom exotischen Ort zu vertiefen. Wie Bitomsky zeigt auch Krüger gerne den Daumen, der ein Foto in die Kamera hält. Eine Mitfahrerin gibt ihm, während er fährt, ein kleines Plastik-Album mit Familienfotos. Er hält es aufgeschlagen ans Lenkrad gepreßt. Der Kamerablick, der zuvor noch auf die Straße gerichtet war, senkt und verengt sich auf die Fotos. Aufmerksamkeit ist Aktion.

Zu all dem gehört auch die erheiternde Illusion, Hardy Krüger wäre allein ohne Kamera und Tonleute unterwegs. Angeblich erste Begegnungen sind inszeniert: die Kamera erwartet aus der Distanz das „unerwartete Zusammentreffen“ oder befindet sich bereits im Raum, den er zum ersten mal betritt. Daß dies nicht total bescheuert wirkt, liegt an der ohnehin durch den Kommentar bewußt zerstörten Trennungslinie zwischen der Gegenwart des Sprechens und der Vergangenheit des Gefilmten.

So zieht er auch beim Erzählen dem erinnernden Perfekt stets das dramatisierende Präsens vor, und benutzt dabei die Worte: „Dann“ und „Da“ und „Jetzt“. Ganz so als zähle eben nicht das Gesehen-und-erlebt-haben sondern viel mehr der Moment des Kennenlernens, die frische unvermittelte Erfahrung. So zurren die vielfältigen bunten Eindrücke seiner Reisen zusammen auf die eine sympathische Propagierung von Sinn und Zweck der Wanderschaft: persönlich Bekanntschaft zu machen.

Am Ostermontag, an Krügers 65. Geburtstag, zeigte der Filmclub 813 Robert Aldrichs THE FLIGHT OF THE PHOENIX und noch im selben Monat eine umfassende Werkschau Hartmut Bitomsky.

(Text von 1993)

Donnerstag, 30.12.2021

Freitag, 17.12.2021

Filme der Fünfziger LIX: Die Freundin meines Mannes. 1957. R: Axel von Ambesser

„Verzeih mir, dass du dich in jemanden anderen verliebt hast“, sagt Gabriele Roscher (Hannelore Schroth) im Garten ihres Hauses zu ihrem Mann, dem Architekten Alfred Roscher (Hans Söhnker). Fast könnte es das Schlussbild der Ehekomödie sein, aber Regisseur Axel von Ambesser hält noch eine Szene bereit. Er sitzt im Flugzeug nach London im Gang neben Barbara Rütting, zieht sich den Ehering ab und fragt, ob sie auch nach London fliege. „Nein, ich springe unterwegs ab“, antwortet sie etwas schnippisch. Aber man darf ihr die Antwort abnehmen – so viele altbackene Entschuldigungen und Erklärungen hat sie über sich ergehen lassen müssen, da darf sie eine dämliche Ansprache ruhig auch etwas ruppig beantworten.
Eine alleinstehende, beruflich erfolgreiche Frau hat es in diesen Zeiten schwer; die Gesellschaft verzeiht es nicht, wenn sie nicht beizeiten zu einem Mann unter die Decke geschlüpft ist und geheiratet hat. „Alle Plätze besetzt“ ruft es von der Leinwand bei Titeln wie Vater unser bestes Stück. „Mama räumt auf“ sollte Die Freundin meines Mannes zunächst heissen – so als wäre die Liebelei des Ehegatten ein Problem der hausfraulichen Organisation. Ambessers Film ist eine Boulevardkomödie, die in Wohnräumen, Büros, in Restaurants und im Garten spielt und vom Wortwitz und der Situationskomik lebt. Filmästhetisch darf man sich von einem Ambesser-Film nicht mehr erwarten als solides Handwerk mit professionellen Schauspielern – hier allerdings mit der Ausnahme von Peter Kraus, der außer einer zu großen Portion Selbstbewußtsein wenig zu bieten hat.
Der Titel führt etwas in die Irre, denn die Liebelei des Ehemannes wird nicht gleich aus der Perspektive der Ehefrau geschildert; es kommt auch die Perspektive der Geliebten (Barbara Rütting) zur Geltung,, die solche Affären offensichtlich schon des öfteren erlebt hat.

Die Modedesignerin Charlotte Bernhard (Barbara Rütting)nimmt den Architekten Alfred Roscher (Hans Söhnker) in ihrem Wagen mit.

Alfred und Gabriele Roscher (Hans Söhnker und Hannelore Schroth) müssen sich mit dem Wunsch ihrer Tochter auseinandersetzen, mit ihrem Freund zur Modemesse nach Paris zu fahren. Dort haben sie eine Wohnung, wo sie „tun und lassen können, was sie wollen“. Das gefällt den Eltern natürlich überhaupt nicht; Alfred, von seiner Frau Panther genannt, wird auf der Strasse von einem Mercedes angefahren; die Fahrerin ist Charlotte Bernhard (Barbara Rütting), eine berühmte Modedesignerin. Alfred beginnt eine Affäre mit Charlotte; er behauptet, dass er seiner Frau alles erzähle und diese ein sehr verständnisvoller Mensch sein. Man führe halt eine moderne Ehe, was natürlich alles nicht stimmt. Die Moderne – oder was man dafür hält – ist ein Trugbild, das keiner Belastung standhält. Frau Bernhard tritt im Fernsehen auf, bei Roschers gibt es einen Fernsehabend mit Freunden und Familie. Freund Heinrich (Willy Reichert) bekleckert sich beim Fernsehen immer den Anzug – also hängt ihm seine Frau eine Kochschürze um. Der gemeinsame Fernsehabend ist eine emotionale

Fernsehabend bei Familie Roscher mit Freunden (Corny Collins, Willy Reichert, Irene von Meyendorff, Hans Söhnker, Hannelore Schroth, Peter Kraus)

Tortur – niemand amüsiert sich wirklich. Alfred Roscher hat nun immer öfter abendliche „geschäftliche“ Verabredungen; Tochter Mariella (Corny Collins) besucht Charlotte Bernhard, um eigene Modeentwürfe vorzulegen und entdeckt den Schal ihres Vaters an der Garderobe. Gabriele lädt ihre Nebenbuhlerin zum Tee ein und schlägt ihrem Mann die Scheidung vor; der mimt gegenüber seiner Frau und seinen Kindern die verfolgte Unschuld und wird, quasi um seiner Familie einen Gefallen zu tun, mit Charlotte nach Stockholm fliegen. Sohn Claus findet heraus, dass Charlotte statt nach Stockholm nach London fliegt; bis auf Alfred weiß dies die ganze Familie; Claus bringt am Morgen schnell noch einen Blumenstrauß zum Flughafen, Alfred bleibt zu Hause, Gabrieles Entschuldigung („Verzeih mir, dass du dich in jemanden anderen verliebt hast“) glättet die Wogen.
Nur Charlotte ist weiterhin den Avancen reifer Herren ausgesetzt. So ist halt die moderne Zeit.

Hans Söhnker spielt souverän, auch selbstironisch den älteren Herrn und rutscht auch schon mal absichtlich auf der Treppe aus, Hannelore Schroth dagegen muss etwas schnippisch die betrogene Ehefrau darstellen – das ist eine eher undankbare Rolle, während Barbara Rütting charmant und elegant die Geliebte ist. Das Drehbuch kann leider auf einige Indiskretionen nicht verzichten; Söhnker beklagt sich bei Charlotte, dass seine Frau ihn nicht versteht, Gabriele Roscher bereitet Charlotte Bernhard auf den Ehealltag vor: Alfred schnarcht und hält auf seinem Schreibtisch keine Ordnung. Die Ehe bzw. das familiäre Zusammenleben ist in dieser Konstellation kein Kinderspiel, sondern gleicht dem Leben in einem Raubtierkäfig. Wehe, jemand will ausbrechen.
Das war die letzte Produktion von Alfred Greven, der es nach dem Krieg in der BRD nicht mehr so leicht hatte. Da war es ihm in der NS-Zeit besser ergangen.


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