An der 23. Straße liegt das „Clearview Chelsea“, ein Multiplex mit 7 oder 8 Sälen. Ich frage an der Kasse, ob es noch Karten für LIMITLESS gibt, der letzte Woche angelaufen ist. Noch eine, sagt die Kassiererin; wenn das kein Zeichen ist. Zwei Rolltreppen höher liegt Kino 6, ein großer Saal mit sanft wegsackenden Rückenlehnen, die Vorschau für andere Filme läuft schon. Zum Glück sind Kinotickets hier keine Platzkarten, deshalb heißt „letztes Ticket“ nicht automatisch Olaf-Möller-Memorial-Seating, erste Reihe Mitte.
Der Film handelt von einem verwahrlosten Typen, der sich für einen Schriftsteller hält, aber trotz Book Contract keine Zeile zu Papier bringt. Von einer dubiosen Straßenbekanntschaft, einem Typen, den er früher mal kannte, bekommt er eine Pille zugesteckt, durch die er die 80% seines Gehirns aktivieren kann, die ansonsten ungenutzt bleiben. Blitzartig durchfluten ihn Klarsichtigkeit und Konzentration. Er räumt seine runtergekommene Wohnung auf, schreibt das Buch in vier Tagen runter, avanciert binnen kürzester Zeit zum Top-Broker, lernt beim Joggen sämtliche Fremdsprachen und erobert seine Exfreundin zurück. All das, weil er in der Wohnung des Bekannten, der mit Kopfschuss auf dem Sofa sitzt, eine stattliche Anzahl dieser Pillen findet und seine gedanklichen Kräfte damit auf konstant hohem Niveau halten kann. Wie üblich im Genre des Wahrnehmungsveränderungsfilms muss LIMITLESS einen Weg finden, den Mind-Boost in Bildideen zu übersetzen. Die Superpille ist ein Platzhalter dafür, was die Jungs aus der Special-Effects-Abteilung so können. Hier sieht das aus wie Google Streetview im Turbogang, ein Hindurchfliegen im Tunnelblick, ein Morphen und Verzerren der Perspektiven, abrupte Close-Ups, weil man unter dem Einfluss der Pille die Details genauso schnell erkennt wie das Gesamtbild. Oft müssen auch die kristallblauen Augen Bradley Coopers und sein verzücktes Lächeln uns versichern, wie hellsichtig er ist. Wenn das Vertrauen in die Bilder ganz schwindet, schaltet der Regisseur, sicher ist sicher, noch ein Voice-Over des Protagonisten hinzu.
Interessanter als der Film ist das Publikum, das stärker mitgeht als ich es kenne. Geistesgegenwärtig hat der Protagonist Spülhandschuhe angezogen, als er das verwüstete Apartment des toten Freundes durchsucht. Da klingelt die Polizei an der Tür, und er will schon öffnen, aber aus dem Publikum rufen einige „The Gloves!“. Das leuchtet ihm ein und er zieht die Handschuhe schnell noch aus, um sich nicht zu verraten. Auch sonst geben die Zuschauer verschiedentlich Tips und Hinweise. Als er feststellt, dass seine Pillen aus der geheimen Anzugtasche – Design of Bradley Cooper’s suits: Tom Ford – verschwunden sind, geben sie Vermutungen ab („The Lawyer!“) und signalisieren angeekelte Empörung, als er am Ende, völlig auf Entzug, das Blut eines grad umgelegten Bösewichts aufleckt, weil darin noch eine stattliche Dosis des Wirkstoffs zu vermuten ist. Die Zuschauer sind auch überrascht, weil in den Dialogen, die der Protagonist mit dem großen Unternehmensboss (Robert DeNiro) führt, mehrmals von den Ölvorkommen in Libyen und der strategischen Wichtigkeit des Landes die Rede ist. Wenn das Wort Libyen fällt, wispern manche und versichern sich, dass damit das Land gemeint ist, das seit ein paar Tagen von den USA und anderen bombadiert wird.
[Dienstag, 22. März, Chelsea Clearview, 260 West 23rd Street, New York, NY 10011]