Abdellatif Kechiches zweiter Spielfilm „L’Esquive“, der am Donnerstag ins Kino kommmt, war eine der Entdeckungen der Berlinale 2004. In Frankreich ist der Film im Kino überraschend erfolgreich gelaufen, letzte Woche hat er als Außenseiter gleich vier Césars gewonnen und sich gegen die Favoriten „Mathilde – Eine große Liebe“ (Jean-Pierre Jeunet) und „Die Kinder des Monsieur Mathieu“ (Christophe Barratier) durchgesetzt – neben der Auszeichnung als „Bester Film“ gewann er auch in den Kategorien Regie und Drehbuch, Sara Forestier bekam den Preis als beste Nachwuchsdarstellerin.
Auf unserer Langtextseite ist ein Gespräch zu lesen, das Stefanie Schlüter, Ekkehard Knörer, Volker Pantenburg, Stefan Pethke und Simon Rothöhler über Kechiches Film geführt haben. Eine kürzere Fassung des Texts erscheint morgen in der Jungle World.
posted by filmkritik
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Alle zwei Wochen zeigt der „Ciné-Club Mardi“ Dienstags in der Französischen Botschaft am Brandenburger Tor „abwechselnd neue Filme, die in Deutschland nicht herausgebracht wurden, und große Klassiker des französischen Films“ – allerdings, wie ich auf Nachfrage herausgefunden habe, als DVD-Projektionen.
Morgen läuft dort „La Sentinelle“ (F 1991) von Arnaud Desplechin, dessen „Rois et Reine“ mich vor ein paar Wochen einigermassen sprachlos hinterlies. Eintritt 4 Euro, ermäßigt 3.
Nachtrag, nicht unwichtig: „Alle Filme sind in OF ohne Untertitel. Englische Untertitel in Ausnahmefälle (siehe Tabelle).“
posted by Volker Pantenburg
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Präzise zeitliche Bestimmtheit und doch keine Gebrauchsspuren, sagt M. Es ist, als weigerte sich die zu Zeichen geronnene Wirklichkeit (1976, LA, Gangs, Rasse, Geschlecht), hier wirklich ins Bild zu finden. Ein wenig wie eine Fotografie von Thomas Demand: Alles aus Pappe nachgebaut, sieht auf dem Bild aber täuschend echt aus. Was Carpenter nachbaut (aus Pappe?) sind Genre-Versatzstücke, die hier im Zusammenbau ihr altes Datum verlieren, ihren Kontext, ihren Ort, ohne doch eine neue Verbindung mit ihrem Datum, ihrem Kontext, ihrem Ort einzugehen. Das Künstliche affiziert das Reale, aber nur in Form einer Entleerung. Sieg des Silencers über die Materialität.
posted by Ekkehard Knoerer
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Anfang der Neunziger hatte eine Freundin zu einer „Trümmerparty“ eingeladen. Ihre Familie, die einzig verbliebenen Mieter, zog aus dem Haus aus, das abgerissen werden sollte. Türen wurden rausgerissen, ein Kreissägeblatt fand eine hohl klingende Wand, schnell war ein übertapezierter Durchgang freigelegt. Ich erinnere mich vor allem an den Lärm, den die Zerstörung verursachte. Wenn Carpenters verwaistes Polizeirevier belagert und mit Schalldämpfern beschossen wird, stehen die Unsichtbarkeit der Angreifer und die Lautlosigkeit des Tötens im Vordergrund. Sie schleichen wie Indianer, sie werden schweigend erschossen wie Zombies, dazu Carpenters Elektronik-Herzschlag. Das Remake wird zu dieser konzentrierten Stille sicher nicht den Mut haben.
Assault on Precinct 13
USA 1976
Regie: John Carpenter
posted by Volker Pantenburg
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Ein Leserbrief an den New Yorker, abgedruckt im Jubiläumsheft zum 80. Jahrestag der Gründung des Magazins (Ausgabe February 14 + 21, 2005): „I read David Denby’s piece on Ben Stiller with great interest (The Current Cinema, January 24th + 31st). Not because it was good or fair toward my friend but exactly because it wasn’t. I’ve acted in two hundred and thirty-seven buddy movies and, with the experience, I’ve developed an almost preternatural feel for the beats that any good buddy must have. And maybe the most crucial audience-rewarding beat is where one buddy comes to the aid of the other guy to defeat a villain. Or bully. Or jerk. Someone the audience can really root against. And in Denby I realized excitedly that I had hit the trifecta. How could an audience not be dying for a real ,Billy Jack‘ moment of reckoning for Denby after he dismisses or diminishes or just plain insults practically everything Stiller has ever worked on? And not letting it rest there, in true bully fashion Denby moves on to take some shots at the way Ben looks and even his Jewishness, describing him as the ,latest, and crudest, of the urban Jewish male on the make‘. The audience is practically howling for blood! I really wish I could deliver for them – but that’s Jackie Chan’s role. Owen Wilson Dallas, Texas.“
Marxelinho
posted by marxelinho
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„Kontaktbilder? Bilder, die etwas berühren, dann jemanden berühren. Bilder, um zum Kern der Fragen zu kommen: berühren, um zu sehen, oder im Gegenteil berühren, um nicht mehr zu sehen; sehen, um nicht mehr anzurühren, oder im Gegenteil sehen, um zu berühren. Bilder, die zu nahe gehen. Bilder, die haften bleiben. Hindernisbilder, in denen aber das Hindernis etwas in Erscheinung treten läßt. Bilder, die aneinanderhängen oder an dem, was sie abbilden. Bilder, die an etwas stoßen. Bilder, die sich an etwas lehnen. Bilder mit Gewicht. Oder aber sehr leicht sind, aber uns sacht und flüchtig streifen, so daß sie uns doch berühren. Streichelnde Bilder. Tastende oder schon fühlbare Bilder. Bilder vom Entwicklungsbad geformt, vom Schatten modelliert, vom Licht gemalt, von der Belichtungszeit gezeichnet. Bilder, die uns gefangennehmen, uns möglicherweise manipulieren. Bilder, die uns weh tun, verletzen können. Bilder, um uns zu packen. Durchdringende Bilder, verzehrende Bilder. Bilder, damit unsere Hand sich bewegt.“
(aus: Georges Didi-Huberman: „phasmes“, 2001, S. 30)
Die Bilder von Denis/Godard berühren Körper, die an globalkapitalistischen Schnittstellen atmen und aufgerissen werden, dann den Zuschauer, der nicht weiss wohin, mit dieser weltweit vernetzten Intimität und deren taktilen Geldströmen. Leere Herzen in Bildern mit Gewicht, welche Kontakt aufnehmen, mit einer Ökonomie, die sich angeblich schon lange ins Immaterielle verflüchtigt hat. Repolitisierung des Index. Kontaktbilder, die wissen, wo sich die Hindernisse verschanzt haben und auf Tuchfühlung gehen. Selten war man so sehr: in bed with late capitalism.
posted by simon rothöhler
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Terra em Transe (Rocha, 1967): Nach „Land in Trance“ lässt sich ahnen, wie groß die Distanz zwischen 67er Politfilmen in Südamerika und 67er Politfilmen in Frankreich/Europa ist. Auch, warum Rocha in Godards „Vent d’Est“ zwei Jahre später ratlos an der Wegkreuzung steht, die beide Ideen vom Kino zusammenführen sollte. Paris blickte auf eine zweihundertjährige laizistische Tradition zurück, hier prägen der Glauben und das Kreuz beide Seiten der Kampfeslinie, die Unterdrücker und das Volk. Die vermeintlich dritte Position, die post-baudelairianische Kunstreligion, zeigt der Film als Romantisierung und hilflose Auflösung des Kollektivsingulars „Volk“. Als das einmal spricht, sagt es nicht, was der Poet ihm vorher ausgedacht hat. ++++ Chukje (Kwon-Taek, 1996): Der Film, nach dem meine Bronchien mir den Weg ins Bett weisen. Man kann sich an Ozus „Tokyo Monogatari“ erinnert fühlen oder an Itamis „The Funeral“, aber damit verschwiege man, wie sehr es Kwon-Taek auch um die Vermittlung von spezifisch Koreanischem geht. Bei der Darstellung einer großen Begräbniszeremonie nicht nur jeder gezeigten Figur gerecht zu werden, sondern bescheiden und souverän in jedem Bild auch etwas über das Land zu erzählen, finde ich großartig. Wie war das? Sollte die Zahl der Knoten im Seil, das um den Sarg der Großmutter geschlungen wird, gerade oder ungerade sein? 19 ist eine ungerade Zahl. ++++
posted by Volker Pantenburg
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The Life Aquatic with Steve Zizou (Anderson, 2004): Von den Deprivilegiertenrängen im vierten Stock schaut man auf die Leinwand ein wenig herunter, was mir für einen U-Bootfilm passend vorkam (auch wenn’s kein U-Boot-Film ist). Seit „Rushmore“ wird Bill Murrays lakonisch unbewegtes Gesicht mit jedem Film zum größeren Problem. Anderson arbeitet weiter an der Abdichtung von Wesworld, angenehmerweise mit etwas weniger Schräubchen, Gimmicks und exkursiven Girlanden als in den „Tenenbaums“. Eine Beobachtung: Owen Wilsons angespannter Körper, als er Cate Blanchett, die das Schiff verlassen will, zusammen mit fünfzig self-adressed envelopes including Briefmarken und Briefpapier auch noch den Stift dazu überreicht. Wie seine Anspannung nach zwei Sekunden nachlässt. Solche Momente. ++++ Tian Bian Yi Duo Yun (Ming-Liang, 2004): Wer „What time is it there?“ mochte, sollte gut überlegen, ob er in „The Wayward Cloud“ geht. Der Uhrenverkäufer ist jetzt Pornodarsteller, das Mädchen ist jetzt ja was eigentlich? Beide treffen sich zufällig wieder, Melonen spielen eine wichtige Rolle und die Wasserknappheit in Taipeh. In der Schlusseinstellung, als der Ex-Uhrenverkäufer nach einer ausgiebigen Sexszene mit einer bestenfalls Bewusstlosen in den Mund seiner ausdruckslos zuschauenden Freundin ejakuliert, sehnte ich mich zurück in die erste Stunde, als der Film noch nur belanglos und nicht so verächtlich war, dass er über Leichen geht. Nach „2046“ der zweite Film, der retroaktiv seinen Vorgänger korrumpiert. ++++
posted by Volker Pantenburg
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Niu Pi (Jiayin, 2005): Wer 110 durch 23 teilt, die Dauer des Films durch die Anzahl seiner Takes, kommt auf einen Wert von 4,7826. Als Durchschnittslänge jeder Einstellung wäre das weniger extrem, wenn sich die Kamera bewegte oder der Ausschnitt etwas weiter kadriert wäre. Weil das Bild so verwaschen und matt ist, dass Gesichter schwer zu erkennen sind, sind wir auf ein mehrfaches Außen verwiesen: Den Ton, die Dialoge. Vater, Mutter, Kind, gepielt von der (und als die) Familie der 23jährigen Filmemacherin. Handarbeit an Ledertaschen, gemeinsames Essen, Existenzangst. Das Wort „Discount“ spielt eine wichtige Rolle. Könnte man mit „Reduktion“ übersetzen; verblüffende Radikalisierung des Homemovies. ++++ Die Vogelpredigt oder Das Schreien der Mönche (Klopfenstein, 2005): Im über Gebühr langen Katalogtext fallen früh und gleich hintereinander die Worte „Schalk“, „Jux“ und „Ulk“, allesamt Begriffe, die bei mir für Ingrid Steeger, Klimbim und artverwandten, altherrenhumorigen Ulknudelsalat reserviert sind. Klopfenstein selbst bezeichnet den Film (im Jux allerdings) als „vierten Teil der Berner Männer-Trilogie“ und wurschtelt sich ärgerlich defensiv durch die Geschichte von zwei abgehalfterten Schauspielern, die den Regisseur „Klopfi“ in Italien besuchen, um ihn von einem tollen Wüstenprojekt zu überzeugen. Sowas als „gute Unterhaltung“ zu rechtfertigen, verdirbt die Preise. Auch Ursula Andress als Madonna holt keine Kastanien aus dem Feuer, wenn der ganze verdammte Laden in Flammen steht. ++++ Rois et Reine (Desplechin, 2004): In Kafkas „Urteil“ steigt der schwerkranke Vater plötzlich aufs Bett, hält seinem Sohn mit donnernder Stimme die Falschheiten der letzten Jahre vor und verurteilt ihn zum Tod durch Selbstmord. Louis Jenssens, dessen Morphiumdosis seine Tochter Nora erhöht, um das Krebsleiden abzukürzen, ist weniger direkt. Im Manuskript liest Nora nach dem Tod, wie er alle Taten der uns als erfolgreiche Mittdreissigerin vorgestellten Frau auf Egoismus, Härte und Gefühlskälte zurückführt. Desplechin lässt das Gift, das unter und über der Oberfläche die Beziehungen seiner Figuren prägt, langsam aber nachhaltig einwirken. „I had a single guideline: be brutal.“ Glücklich verwundet aus dem Kino getaumelt. ++++
posted by Volker Pantenburg
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L’Intrus (Denis, 2004): Michel Subor könnte ich problemlos drei Stunden lang zukucken; jedenfalls, wenn Agnès Godard ihn filmt. Der Film ist zwei Verfilmungen, die eines Texts von Jean-Luc Nancy und eines von Robert L. Stevenson. Nancys Buch ist bei Merve als „Das fremde Herz“ erschienen, das bekannteste von Stevenson heißt bekanntlich „Die Schatzinsel“. Für Claire Denis muss es wie die Entdeckung eines Schatzes gewesen sein, als sie auf den Film „Le Reflux“ von Paul Gégauff (1962) stieß. Die Südsee-Aufnahmen mit dem 27jährigen Subor, die in „L’Intrus“ als Rückblende implantiert sind, bilden eines der vielen fremden, angeeigneten Herzen, die in dem kristallklaren Film pochen. ++++ Lakposhtha Hâm Parvaz Mikonand (Ghobadi, 2004): Bei einem kurdischsprachigen Film, der mit iranischem Geld im irakischen Grenzgebiet zwischen amerikanischen Tretminen spielt und das Elend in den Flüchtlingslagern wenige Wochen vor der zweiten US-Invasion im Jahre 2003 zum Thema hat, haben sicher eine Menge Leute mitzureden. Erste Einstellung, close up, ein Mädchengesicht im Halbprofil, hinter dem Gesicht unscharf ein Abgrund. Zweite Einstellung, close up, ihre Füße, die sich näher an die Klippe herantasten. Dritte Einstellung, close up, sie streift ihre Schuhe ab. Vierte Einstellung: Sie springt, und man sieht ihre Füße in Zeitlupe. Diese Zeitlupenidee, hoffe ich, vielleicht sogar die ganze vierte Einstellung, kommt nicht von Ghobadi. ++++ Skagafjordur (Hutton, 2004): Hier war schon von zwei Benningfilmen die Rede, und nach ein paar Einstellungen Hutton könnte man denken: Ah, kiek ma an, wie der Benning. Nach einer Weile merkt man: Nein, das Gegenteil ist der Fall. Landschaft ist noch lange nicht Landschaft, Blick ist noch lange nicht Blick. Huttons Island ist ein Märchenland, das wohl auch aufgrund der stummen Tonspur weit ins Imaginäre entrückt ist. Das Glitzern des Meeres, zuerst schwarz-weiss, dann bunt, ist immer auch anderes, mehr als es selbst oder weniger. In dieser Diskrepanz steckt auch eine Beunruhigung. Man kann dabei an Dieter Roths tausende von Island-Dias erinnert sein. ++++ Los Muertos (Alonso, 2004): Untergrund-Viennale, dritter Teil. Hier in Berlin wird das Wiener Festival auf dem Filmmarkt verramscht. Für jemanden wie mich, der nicht da war, dankbare Gelegenheiten. Über „Los Muertos“ ist von berufener Seite schon einiges geschrieben worden. Wenn „zeigen, was der Fall ist“ als Materialismus gelten kann, ist Alonsos Film so materialistisch wie die Filme Bennings. Die Kamera hat ein fast gespenstisches Gespür für Entfernungen gegenüber Vargas, dem entlassenen Mörder. Als er vom Polizei-Pickup abgesetzt wird, fahren wir langsam weiter mit und sehen ihn kleiner werden. Später eins der unerlöstesten Schlussbilder der Filmgeschichte. Erlösung könnte danach höchstens der Anfang des Films bringen. ++++
posted by Volker Pantenburg
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