Langtexthinweis
* Johannes Beringers Erinnerungen an die Technologiekampagne 1968 mit Harun Faocki (und vorherige Dreharbeiten mit Wolfgang Staudte in Bulgarien)
* Johannes Beringers Erinnerungen an die Technologiekampagne 1968 mit Harun Faocki (und vorherige Dreharbeiten mit Wolfgang Staudte in Bulgarien)
Im Frühjahr ist das Österreichische Filmmuseum 50 Jahre alt geworden. Wir drucken auf der Langtextseite einen Auszug aus Alexander Horwaths Geleitwort zum Band „Das sichtbare Kino“ ab:
* Alexander Horwath: Weiterleben
Die beeindruckende Chronik des ÖFM legt in drei Einzelbänden (Aufbrechen, Das sichtbare Kino, Kollektion) oder gesammelt im Schuber Zeugnis über fünf Jahrzehnte eines „polemischen und poetischen Museums“ (Kubelka/Horwath) ab. Mit den Worten von unmittelbar Beteiligten und Zeitzeugen der Vergangenheit und Gegenwart, in aufschlussreichen Dokumenten und Objekten, in Texten und Bildern, die zu keinem Augenblick vergessen lassen, dass sie auf etwas hinweisen, das unter anderen Bedingungen des Kinos nicht zu haben ist.
Zwei von vielen Veranstaltungen im Herbst:
– eine Reihe mit Filmen von Gregory J. Markopoulos (19. bis 24. November; siehe auch hier)
– eine Gesprächs- und Vortragsreihe mit dem Titel Das Unsichtbare Kino
Film, Kunst, Geschichte und das Museum; mit Nicole Brenez, Chris Dercon, Noam M. Elcott, Daniel Fitzpatrick, Lars Henrik Gass, Siegfried Mattl, Winfried Pauleit und Jacques Rancière.
Die Geschichte des ÖFM ist – wie die Arbeit jeder Kinemathek und jedes Filmarchivs – essentiell mit dem Leben und Weiterleben von analogem Filmmaterial verknüpft. Mit Produktionsstätten und Kopierwerken, mit Infrastrukturen der Projektion und Produktion, mit der Tradierung von sozialen, ästhetischen und politischen Zusammenhängen, die sich um das Medium Film herum gebildet haben.
Es gibt zurzeit eine Vielzahl von Initiativen, die auf verschiedenen Ebenen versuchen, den Fortbestand Filmmaterial sicherzustellen:
– Save Film Petition (dort auch viele weitere Links zu aktuellen Entwicklungen)
– 100 More Years of Analog Film (Kickstarter-Kampagne zur Rettung der Ferrania-Filmprodution in Norditalien, die von den benötigten 250.000 Dollar in wenigen Tagen bereits mehr als 210.000 erreicht hat)
Teil II: Die Patrone und das rohe Ei
Im Chorgestühl während der Messe zeigt Gillie (Haley Mills), dass sie jetzt eine Pistole besitzt. Eine echte sogar. Sie wird nicht länger ausgeschlossen sein aus dem Spiel der Jungs mit ihren Zündplättchenpistolen. Was sie verheimlicht: Sie ist Zeugin eines Mordes geworden.
J. Lee Thompson war Hitchcockianer, also Frontalist mit einer besonderen Leidenschaft für Perspektivwechsel, und Realist – soviel wie nötig – um aus Traumbildern den Tatbestand der Mitwisserschaft herbeizuführen.
Der französische Titel von Tiger Bay: Les Yeux du Témoin – Die Augen der Zeugin. Der deutsche Titel: Ich kenne den Mörder.
Zur Berlinalepremiere fand Erika Müller damals in der „Zeit“ ein paar lobende Worte (mit einem „aber“ darin): „Ein kleines Mädchen, Hayley Mills aber, die das Schauspielerblut ihres Vaters John Mills geerbt hat – er spielt den Inspektor in dem Reißer – fasziniert so sehr mit ihren bezaubernden Kinderaugen und ihrem lebhaften Spiel, daß das Publikum mit ihr das Entkommen des Mörders wünschte und gerührt war, wo es hätte entrüstet sein müssen.“
Um Lee Thompsons Kunst zu beschreiben, sind das gar keine so falschen Vokabeln: Wunsch und Rührung, wo Entrüstung sein müsste.
Als Scorsese sein Remake von Cape Fear drehte, sagte J. Lee Thompson in einem Interview, er sei ein Scorsese-Fan, und sein Lieblings-Scorsese-Film: The King of Comedy. „You’re gonna love me / Like nobody’s loved me / Come rain or come shine,“ singt Sandra Bernhard.
„His first film. A melodrama about a man who thinks he has committed murder, this well structured film went largely unnoticed but contained many of the themes which were to characterise Lee Thompson’s work: a good person’s struggle with their conscience, an external force of evil, and an out-of-character moment of violence which has long-term consequences. Believing people can ‚commit crimes without being criminals‘, he sought to make his audiences condone or at least understand behaviour that they would normally condemn.“
(Linda Wood, Reference Guide to British and Irish Film Directors)
Daniel Paul Schreber war fest überzeugt von der „totalen Unfähigkeit Gottes den lebenden Menschen richtig zu beurtheilen.“ („Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken“, 1903)
Diana Dors in Yield to the Night (1958)
Die Auswahl der Bilder könnte glauben machen, es gäbe, was Blicke angeht, eine Verwandtschaft zwischen Lee Thompson und heute populären Regisseuren, die ihre Darsteller gerne in die Kamera starren lassen. Das Gegenteil ist der Fall. Bei ihm sind die frontalen Blicke – anders als z.B. bei Wes Anderson – nicht starr, sie schweifen umher, streifen nur kurz die Linse, zermürbt, in Panik oder in Gedanken.
No Trees in the Street (1959), Kamera: Gilbert Taylor
Lee Thompson verließ sich nicht gerne auf story boards, löste die Probleme der Auflösung lieber vor Ort während der Proben mit den Schauspielern in Anwesenheit des Kameramanns. Im DVD-Kommentar zu Guns of Navarone spricht er ausführlich darüber. Gleichermaßen luxuriös wie zeitsparend sei es, Szenen in ganzer Länge durchzuproben. Denn man fühle gemeinsam rechtzeitig, was nicht stimmt. Es war wohl auch diese Arbeitsweise, die ihn bei Schauspielern beliebt machte.
Stars haben die wiederholte Zusammenarbeit mit Lee Thompson gesucht. Herbert Lom (1917-2012) hat mit ihm fünf Filme gemacht. Diana Dors: vier, Sylvia Syms: drei, Anthony Quayle: fünf, Gregory Peck: vier, David Niven: drei, Anthony Quinn: drei, Robert Mitchum: drei, Charles Bronson: neun.
Unter vielen wechselnden Kameramännern war Gilbert Taylor (1914-2013) die Ausnahme: fünf gemeinsame Filme.
Death Wish 4: The Crackdown (1987) destructible man
„… und er erwachte in der Finsternis mit einem gellenden Schrei.“ (Chesterton: Der stumme Ochse)
„An opening that is among the best of its kind.“ (Christopher Mulrooney)
“The only way to win a war is to be just as nasty as the enemy. One thing that worries me is that we’re liable to wake up one morning and find out we’re even nastier than they are.”
(Gregory Peck in The Guns of Navarone)
Kinjite: Forbidden Subjects (1989)
„Auf jede aufwiegelnde, das Bedürfnis nach Triebabfuhr befriedigende und den Reaktionismus schürende Szene folgt eine, die den Fokus erweitert, Kontext hinzufügt und den Zuschauer so vor die Wand seiner eigenen perfiden Bedürfnisse laufen lässt.“ (Oliver Nöding)
Lee Thompson: „I always liked to bring political viewpoints into my films and I was strictly towards the Left. (…) But the other left-wingers in the business hated me. To this day I don’t know why.“
Yvonne Mitchell und Diana Dors, Yield to the Night (1958)
Yield to the Night ist ein Film gegen die Todesstrafe. Ungewöhnlich, nicht von Zweifeln ausgehend, sondern vom sinnlichen Augenschein. Vollkommen desinteressiert an Argumenten, die sich an das Unbewiesene der Schuld knüpfen könnten. Die Schuld, kaltblütiges Töten steht am Anfang und ganz außer Frage. Die ungeteilte Aufmerksamkeit gilt also dem, was zwischen Menschen möglich ist. Sie gilt der Aufmerksamkeit selbst. Auch wenn es nur eine Geste ist – gegen das Licht in der Todeszelle.
Daniel Paul Schreber spricht in seinen „Denkwürdigkeiten“ vom „natürlichen Recht des Menschen auf das Nichtsdenken“.
Im Sommer, wenn man ein Eis isst, wird der Gaumen zum kühlen Kellergewölbe, über dem das arme Hirn in seinem Stübchen schmort.
„Wie man sich diese Unfähigkeit Gottes, aus Erfahrung zu lernen, erklären soll, ist eine auch für mich überaus schwierige Frage.“
Am Ende seines Buches äußert Schreber frei von jedem Scherz diese außergewöhnliche Sorge, „was im Falle meines Ablebens – wenn ich mich so ausdrücken darf – aus Gott werden soll.“
Teil I: Blicke, Waffen, Abgründe
„Ich kann nicht beschreiben, was in so einem Blick sein kann, der mir den Boden wegzieht. Er ist für mich der Beweis, daß Menschen eine Seele haben. Sie wissen nicht, daß man sie dann sehen kann, und ihr verzweifeltes, unrealistisches Bedürfnis, etwas zu durchdringen, aus sich heraus, in was hinein. Es ist nicht persönlich gemeint, und es ist mehr als sexuell. Niemand weiß, was er sich davon verspricht, und niemand bekommt es wirklich bleibend, oder? Es liegt so nah, die Augen zu schließen, einzuwilligen, nachzugeben und zuzulassen, dass alles zerstört wird.“
(Silvia Szymanski: Chemische Reinigung, 1998)
„Die menschliche Seele ist in den Nerven des Körpers enthalten, über deren physikalische Natur ich als Laie nichts weiter aussagen kann, als daß sie Gebilde von außerordentlicher Feinheit -— den feinsten Zwirnsfäden vergleichbar — sind, auf deren Erregbarkeit durch äußere Eindrücke das gesamte geistige Leben des Menschen beruht.“ (Daniel Paul Schreber: „Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken“, 1903)
„Es ist eine Angewohnheit von mir, Menschen auf den Mund zu schauen und nicht in die Augen, wenn ich mit ihnen spreche.“ (Claudia Basrawi: „Intelligente Oberflächen“, Merkur, Mai 2014)
Sicherheit ist allenfalls Verzögerung. Nur kurz sperrt Stahl das Unheil draußen aus oder den Tod drinnen ein. Nichts hält den Fortgang der Geschichte auf, nur das Geschick eines Erzählers.
Um von unerwiderter Liebe zu erzählen, war das Melodram plötzlich nicht mehr der richtige Auftrittsort. Mitte der 60er Jahre war etwas neu eröffnet worden: der Thriller. Verdrängtes durfte darin grob zum Ausdruck kommen. Alter, Verfall und Begehren. Ehrlichkeit. Was Aldrich und Castle mit Bette Davis und Joan Crawford erfunden haben, kann man Horror-Melodram nennen.
Sogleich der Anfang von Return from the Ashes stellt unzweifelhaft klar: Der größte, nicht vorstellbare Schrecken liegt vor dem Begin der Erzählung.
„The opening scene before the credits is a virtuoso masterpiece summing it all up and showing, it may be suggested, a derivation or influence of Wyler’s The Heiress.“ (Christopher Mulrooney)
Sich jemanden kaufen, durchschauen, lieben, ohne geliebt zu werden.
Filme machen, Filme anschauen.
Phoenix spricht anders als Return from the Ashes leise, wo es um Liebe geht. „Speak low when you speak love“. Ich bewundere die Intelligenz mit der Petzold und Farocki den richtigen, schmerzlichsten Abschnitt aus der Erzählung gewählt und vergrößert haben. Aber im Gegensatz zu Phoenix bringt Return from the Ashes heraus, was sich nur im Schutz des Genrekinos aussprechen lässt: Eine Frau, die akzeptiert, nicht geliebt zu werden, muss um ihr Leben fürchten.
Sylvia Syms, Yvonne Mitchell, J. Lee Thompson
Woman in a Dressing Gown (1957)
Eine Frau unter Einfluss. In einem Käfig namens Küche.
Wer verlangt noch weitere Beweise, dass die besten Actionregisseure die besten Frauenfilme machen?
20 Filme von Lee Thompson sah ich seit dem Frühling. Und mein Vergnügen nahm die Form an, die sprachlos bleiben möchte, mit der Ausrede: Nichts kann ich sagen, bis ich nicht alles gesehen habe.
Ich stellte außerdem fest: Schaut man die Filme ein zweites Mal an, werden die schwächeren besser und sogar die besten noch besser. Warum das so ist, erkläre ich mir damit: Weil es Filme eines Virtuosen sind; virtuos darin, die Sicht auf alles, was geschieht, nach Belieben einzuschränken oder plötzlich freizugeben, unermüdlich und geschickt zu behindern.
Säulen, Hinterköpfe, Gitterstäbe, Felsen und Gestrüpp machen es dem Auge und dem Urteil schwer. Aber das Auge gewöhnt sich auch an die Finsternis. Blicke sind Suchende. Höhlen haben zweite Ausgänge.
Wild Bill Hickok (Charles Bronson) feuert aus zwei Revolvern. Ein unaufhaltsam herannahender weißer Büffel versetzt ihn in Todesangst, als er in einem Schlafwagenabteil aus seinem schrecklichen Traum erwacht. Noch benommen erhebt er sich und schaut eilig in die über ihm gelegene Schlafkoje, die von ihm durchschossen, aber glücklicherweise leer ist. Jederzeit kann es einen zufällig ganz übel erwischen, weil irgendwer einen scheußlichen Traum hat.
Es gibt die strotzende Überlegenheit über das Hilflose.
Ich habe noch eine zweite Hypothese, warum die Filme von Lee Thompson beim wiederholten Sehen noch besser sind: Weil sich dann ein Widerstand aufgelöst hat.
„Nicht um von Schrecken und Mitleiden loszukommen, nicht um sich von einem gefährlichen Affekt durch dessen vehemente Entladung zu reinigen – so verstand es Aristoteles –: sondern um, über Schrecken und Mitleid hinaus, die ewige Lust des Werdens selbst zu sein, – jene Lust, die auch noch die Lust am Vernichten in sich schließt… “ (Nietzsche: „Götzen-Dämmerung oder Wie man mit dem Hammer philosophirt“, 1889)
„Die Indianerin nimmt ein Nacktbad in einem Studio-Pappmaché-Felsenweiher.“ (Joe Hembus, Westernlexikon)
Mackenna’s Gold (1969), „ein schrecklicher Film.“ urteilte Hembus.
Am 1. August wäre der Hundertste Geburtstag von J. Lee Thompson gewesen. Ich hatte mir vorgestellt, punktgenau mit einem Text aufwarten zu können, der geschmückt mit den allerschönsten Perlen, fremden Federn, zweckentfremdeten Zitaten, einen fast Vergessenen feiert. Aber der Termin verstrich.
„Der Sommer ist schneller vorbei, als man denkt. Ein nächtlicher Wind hat die Blüten gekränkt. Die Zeit, die dir blieb, hast du lachend verschenkt,“ sang Udo Jürgens 1976.
„Dabei hat sich aus der Gesammtheit meiner Erinnerungen der Eindruck in mir festgesetzt, als ob der betreffende nach gewöhnlicher menschlicher Annahme nur drei bis vier Monate umspannende Zeitraum in Wirklichkeit eine ungeheuer lange Zeit umfaßt haben müsse, als ob einzelne Nächte die Dauer von Jahrhunderten gehabt hätten, sodaß innerhalb dieser Zeit sehr wohl die tiefgreifendsten Veränderungen mit der ganzen Menschheit mit der Erde selbst und dem ganzen Sonnensystem sich vollzogen haben konnten.“ (Schreber: „Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken“)
Schwebefähre und Zündplättchenpistole, Tiger Bay (1959)
Hans Schifferle hatte Tiger Bay in seiner Entdeckungsliste in der letzten SGE-Ausgabe. Das war ein entscheidender Hinweis.
Ich sollte versuchen, aus den drei Worten der Überschrift wenigstens ganze Sätze zu bilden. Blicke, Waffen, Abgründe.
Über die vielen Waffen in den Filmen von Lee Thompson, ließe sich sagen, dass sie regelmäßig denen in die Hände fallen, die damit bedroht werden sollten. Aber jeder weiß das: Waffen waren schon immer in der Mehrzahl aus zweiter Hand. Und ich weiß: Alles was ich über „die aktuelle, noch nie dagewesene Situation“ denken kann, ist auch nur aus zweiter Hand.
John Goldfarb, Please Come Home (1965)
„Der moderne Massenkrieg ist möglich, nicht weil mehr Menschen uneinig sind, sondern weil mehr Menschen übereinstimmen.“ (Chesterton: „Der stumme Ochse. Über Tomas von Aquin“, 1933)
In Return from the Ashes, in einer Rückblende – 1939 – sagt Maximilian Schell: Sollte der Krieg kommen, wird Deutschland ihn jedenfalls verlieren. Und als Ingrid Thulin daraufhin amüsiert fragt, was ihn da so sicher mache, sagt er: „Can you name one really outstanding german chess player?“
Einen Abgrund zu überwinden – oder auch nicht, das ist eine Standardsituation in den Filmen von Lee Thompson. Mutproben erweisen sich häufig als verhängnisvoll.
Kurz nach Kriegsende in Österreich: Major Burnside (David Niven), englischer Kommandant eines Flüchtlingslagers, erzählt eines Abends von einer Brückensprengung, die jemand „once upon a time“ im Alleingang, eigenmächtig, leider erfolglos versuchte. Er wünscht sich zurück in eine ähnliche Situation. Before Winter Comes (1969) erzählt davon, dass sich Mut nicht beweisen lässt zum selbstgewählten Termin, sondern nur im Umgang mit dem Unumgänglichen.
…“begins in Blitzed ruins and ends in an underground station closed since the war.“ (Christopher Mulrooney)
North West Frontier / Flame Over India (1959)
„Hier eine höchst einfache Bemerkung: niemand hat jemals behauptet, er handle aus bösem Willen. Wir alle – unsere Feinde inbegriffen – sind ‚Menschen guten Willens'“
(Denis de Rougemont: „Der Anteil des Teufels“, 1942)
North West Frontier hat mich erst beim zweiten Sehen begeistert. Ein Abenteuer- und Reisefilmessay über Waffen und all die vergangenen und kommenden Kriege. Sehr nahe dran an John Ford; Drehbuch: Frank Nugent, nach einer short story von Patrick Ford.
Auch J. Lee Thompson fragte skeptisch, was nach dem Krieg kommt. Bestimmt nicht das, was man Frieden nennt.
Taras Bulba (1963), „the cinematic equivalent of one fine chub of garlic sausage“ (Greg Klymkiw)
In fast allen Texten über J. Lee Thompson ist zu lesen, er habe mit ein paar Filmen seinen guten Ruf ruiniert. Aber es sind jedesmal andere Filme, die da genannt werden. Und speziell jene Titel, die als „Ausrutscher“ gelten, haben anderswo ihre Fans.
Christoph Huber hat ein famoses Interview gemacht mit jenem Produzenten, der dem „much-maligned craftsman“ Lee Thompson in den 80ern eine kontinuierlich rege Herstellung von Alterswerken ermöglichte, Menahem Golan (1927-2014). Ein wirklich famoses Interview.
Eine ausdrückliche Empfehlung: Der Affen- & Vogelpark Eckenhagen, im Sauerland. Das ist eine feine Mischform aus Kirmes und Zoo, wo zwischen elektromechanischen Schaukeln und Karussells mit Münzeinwurf, draußen im Grünen, die Tiere mit Menschen in Berührung kommen.
North West Frontier / Flame Over India (1959)
Das Münchner Werkstattkino, das beste Kino der Welt, zeigte vorletzte Woche Harun Farockis drei Kinofilme von 1986, 1988, 1990, und dann als Auftakt einer Filmreihe im Gedenken an Lauren Bacall: North West Frontier.
Das verblüffende Ende von Caboblanco (1980)
Das Aufzeichnungsverfahren Papagei oder Der Sprung in der Schallplatte.
Indem er seinen Vornamen auf den Anfangsbuchstaben verkürzte und dazu noch auf den Bindestrich zwischen seinen zwei weitverbreiteten Nachnamen verzichtete, hat John Lee Thompson es dem Gedächtnis der Nachwelt nicht gerade leicht gemacht. Trotz seiner 45 Filme in vier Jahrzehnten, trotz Yield to the Night und North West Frontier und Tiger Bay und Cape Fear führen einige Lexika ihn falsch unter Thompson, nur manche korrekt unter Lee, die meisten überhaupt nicht.
Als wir an einem sonnigen Januartag in Leuven diese Raupe bestiegen, klang aus den Lautsprechern „Whole Lotta Shakin‘ Goin‘ On“ von Jerry Lee Lewis und dann, in voller Fahrt, „Kili Watch“ von den Cousins. Mit der Erfindung des Rads ist es gelungen, die Drehbewegung in einer Konserve – also ein nicht geringes Maß an Euphorie – auf alle Zeit bereitzustellen.
Der Zug ist eingefahren. Eine Frau, die den Wagons entstiegen ist, geht unter vielen Mitreisenden den Bahnsteig entlang. Sie trägt einen Koffer in der Hand. Von strahlender Klarheit scheint sie einem Ziel entgegen zu streben.
Später legt uns die Filmerzählung nahe, dass sie aus einem Lager kommt, in ihr altes Zuhause möchte, leben und wiederaufbauen will.
Der Abgrund hinter ihr hat sie ernsthaft gemacht, ihre Integrität jedoch nicht berührt.
Aus dieser Kraft heraus rettet sie den gebrochenen Mann, den sie liebt.
* Diedrich Diederichsen: Harun Farocki (1944-2014)
* Thomas Elsaesser: Harun Farocki. 9. Januar 1944 – 30. Juli 2014 (engl. Fassung hier)
* Daniel Eschkötter / Volker Pantenburg: Was Farocki lehrt
* Michaela Melián: Harun Farockis Stimme
* Michael Sicinski: Harun Farocki 1944-2014: His Inextinguishable Fire
* Hito Steyerl: Beginnings: Harun Farocki 1944-2014
Von Donnerstag, 4. September, bis nächsten Mittwoch, 10. September, ist im Kreuzberger fsk-Kino der bemerkenswerte Film »Zuwandern« im Programm, täglich um 18.00 Uhr. Mitte Juni konnte ich den Film sehen, die Regisseurin Sabine Herpich (Co-Regie: Diana Botescu) hatte mir eine DVD geschickt. Das ist ein »kleiner Film«, über einen Zeitraum von neun Monaten aufgenommen, Porträt einer Zuwandererfamilie aus Rumänien, die in Neukölln gelandet ist, und wie sie dort leben und was so ein Leben im Alltag ist, wie das ausschaut, sich anfühlt. Und die Sprache darin und darüber, mit der der Film aus der Gegenwart ein Verhältnis zur Zeit projiziert, zur Zeit vor dem Porträtieren und zur Zeit, die danach kommen wird; wie nah sich da im Sprechen das Wahrscheinliche und das Unwahrscheinliche sind. Mich hat das sehr beeindruckt. Im Juni, zur Vorführung des Films in der Berliner Volksbühne hatte Lukas Förster im Perlentaucher ausführlicher darüber geschrieben. Bevor der Film nächste Woche täglich im fsk läuft, ist er heute abend, Mittwoch 3. September, zum Ende der dokfilmwoche noch einmal im Sputnik zu sehen, 18.00 Uhr. Im Anschluss gibt es ein Filmgespräch mit Sabine Herpich.
Es geht wieder um das richtige Rezept für junge Frauen, einen Mann fürs Leben zu bekommen. „Kleine hässliche Mädchen müssen ihren letzten Groschen zum Friseur und zur Kosmetikern tragen“, weiß der berühmte Schauspieler Claudio Pauls (Dieter Borsche). Anneliese (Sonja Ziemann) ist dieses hässliche Mädchen. Sie wohnt mit Schwester und Eltern in einer biederen Mietswohnung, in der die Familie jedes Telefonat mithört. Claudio – bei ihrer ersten Begegnung nennt er sich Anneliese gegenüber „Onkel Claudio“ – schickt sie zu seiner Kollegin Luise (Olga Tschechowa). Tschechowa war neben ihrem Schauspielberuf auch Diplom-Kosmetikerin und führte einen Kosmetiksalon, bevor sie 1958 ihre erfolgreiche Kosmetikfirma „Olga-Tschechowa-Kosmetik“ gründete. Annelieses Vater (Bruno Fritz), die Karikatur einer moralischen Autorität, steht für den gesunden Menschenverstand. Er ermahnt Anneliese: „Deine Schwester wird heiraten, aber Du musst Deinen Verstand benutzen, um Dich eines Tages zu ernähren.“ Und er ist natürlich auch entsetzlich rückständig. Der Schönheit nachhelfen? „Mit Haarfärben fängts an, in der Gosse hört es auf.“ Luise/ Tschechova schickt Anneliese zu einem Kosmetiksalon nebst angeschlossenem Friseur. Wie bei einer Operation beugen sich Gesichter über Anneliese, eine Liege wird aufgebaut, das Mädchen wird auf Hochglanz poliert und sieht jetzt so schön aus wie Sonja Ziemann.
Claudios Familie besteht aus seinem Impresario (Fritz Rémond), einem Journalisten (Wolfgang Neuss) und wechselnden Geliebten. Statt in einer Wohnung lebt er mit seiner Entourage im „Schwarz/Weiß Club“, in dem man trinkt und tanzt, fröhlich und traurig ist. Als Alternative zur elterlichen Wohnung und dem bürgerlichen Salon von Tante Elsa, dem Ort der ersten Begegnung mit „Onkel Claudio“, taugt er nur bedingt. Evelyn Künneke singt im Club „Mach nicht Uh, wenn Du den Mambo tanzt“ und bringt Wolfgang Neuss mit ihrem Dekolleté zur Raserei. Der Mambo war gerade aus den USA als neuer Modetanz nach Deutschland gekommen; die deutschen Tanzlehrer sahen darin „abstoßende Zügellosigkeit“.
Es gibt keine wirklichen Charaktere in dem Spiel; an ihre Stelle treten Objekte und Haltungen – der schicke Wagen des Schauspielers, die Suche nach dem schönen Kleid, der tollen Frisur, das Borgward Cabrio des Bankierssohns Thomas von Bley (Karl-Heinz Böhm), der Urlaub im Nobelhotel am Bergsee, die beginnende Langeweile des Luxus („Schon wieder Motorboot?“, trällert Anneliese Thomas von Bley zu) und alles dient der Suche nach dem Hauptgewinn, dem richtigen, dem reichen Mann. Dieter Borsche muss auf Betreiben von Anneliese einen herrenlosen Hund aufnehmen und geht schon bald mit und an der Leine. Haben die Mädchen im Publikum die Botschaft verstanden? „Wie haben Sie Ihre bildhübsche Frau gefunden“, fragt ein Reporter Dieter Borsche bei der Hochzeit. Sonja Ziemann nimmt ihm die Antwort ab und spricht in die Kamera: “Ich war ein hässliches Mädchen.“
Das Drehbuch basiert auf dem 1937 veröffentlichten Roman der Österreicherin Annemarie Selinko. Den Film produzierten Dr. Heinrich Jonen von der Meteor-Film und Marcel Hellman von der Cine-Allianz; Jonen hatte Liebeneiner 1937 für seine erste Regiearbeit „Versprich mir nichts“ engagiert, Hellman war nach Grossbritannien emigriert. 1955 klagte Liebeneiner in einem Interview, dass er für seine künstlerischen Ideale im deutschen Film kein Gehör fände und entschuldigte sich gleichsam für seine Regiearbeiten. „Ich mache das Ernste ernst – und wenn das nicht möglich ist, mache ich, was man nicht ernst nehmen kann. Im übrigen ist der Unterhaltungsfilm ein zwar nicht sehr edles, aber doch echtes und sehr notwendiges Bedürfnis des Publikums. Der Alltagsmensch unserer verworrenen Zeit würde ohne das Kino, wie er es meist auffasst, zugrunde gehen.“
Da hätte die Bevölkerung der Bundesrepublik Liebeneiner ja eigentlich dankbar sein müssen, dass er sich ihr mit dieser kleinen Filmillustrierten wieder einmal geopfert hatte. Sie war es nicht; der Film war nicht der erwartete große Erfolg.
Nicht als DVD, nicht als Video erschienen.
Was nicht im filmportal steht (samt einiger Präzisierungen):
Nach dem gleichnamigen Roman von Annemarie Selinko; Schnitt: Walter von Bonhorst; Regieassistentin: Zlata Mehlers; Kameraführung: Johannes Nowak; Kamera-Assitenz: Hermann Dey; Standfotos: Herbert Lindner; Starfotos: Arthur Grimm; Herstellungsleitung: Dr. Heinrich Jonen
Sonja Ziemann (Anneliese Howald), Karl-Heinz Böhm (Thomas von Bley), Marianne Wischmann (Lilian Markowski, Freundin von Pauls), Alexa von Poremsky (Frau Howald), Bruno Fritz (Alexander Howald, Vater von Anneliese), Erika Remberg (Inge Howald, Annelieses Schwester), Tatjana Sais (Tante Elsa), Fritz Rémond (Verleger Bierbaum), Peter Präses (Plumberger), Wolfgang Neuss (Mopp, Journalist), Olga Tschechowa (Luise Raymond), Myriam Lynn (Grace Morton), Maly Delschaft (Mme. Lax), Kurt Lucas (Diener Franz), Ingrid Schwarz (Erika, Verkäuferin)
Evelyn Künneke singt „Mach nicht uh, wenn Du mal Mambo tanzt“
Atelieraufnahmen Juni/ Juli 1955 in den CCC-Studios Spandau; Außenaufnahmen Mitte Juni 1955 am Eibsee.
„Alles war früher viel schlechter, blickt man aber zurück, so drängt auf langer Strecke die perspektivische Sicht weit auseinanderliegende Punkte eng zusammen: darum muss es mir vorkommen, dass früher oft geschah, was heute selten ist: daß ich im Fernsehen etwas sah, das ich auf der Leinwand sofort wiedersehen wollte, das ich also wahrhaft haben wollte.”
Die Sätze stammen aus einem DFFB-internen Ankündigungstext von Harun Farocki für Freitag, den 17.12.1993. Bis heute werden an der DFFB unter dem Rubrum „Filmgeschichte” an Freitagen unterschiedlichste Filme vorgeführt. Es folgt eine unvollständige Aufstellung von Filmen, die ich sehen konnte, weil Harun Farocki sie an der Filmschule oder anderswo zeigte:
11.000 KM FROM NEW YORK, Orzu Sharipov, Tadschikistan 2006
ARIEL, Aki Kaurismäki, FIN 1989
BENNY’S VIDEO, Michael Haneke, AT 1992
DAS OFFENE UNIVERSUMm Klaus Wyborny, BRD 1993
DIE HARD I, John McTiernan, USA 1988
DIE KÜCHE, Jürgen Böttcher, DDR 1987
FASTER PUSSY CAT! KILL! KILL!, Russ Meyer, USA 1965
IMBISS SPEZIAL, Thomas Heise, DDR 1978
JOHNNY WEST, Roald Koller, D 1977
KNITTELFELD – STADT OHNE GESCHICHTE, Gerhard Benedikt Friedl, AT 1997
LANCELOT DU LAC, Robert Bresson, F 1974
L’ARGENT, Robert Bresson, F 1983
LOLA, Jacques Demy, F 1961
LOS OLVIDADOS, Luis Bunuel, MEX 1950
MURIEL OU LE TEMPS D’UN RETOUR, Alain Resnais, F 1963
NAS VEK (Unser Jahrhundert), Artawasd Peleschian, UdSSR 1983/90
NASHVILLE, Robert Altman, USA 1975
NUMÉRO DEUX, Jean-Luc Godard, F 1975
PASSION, Jean-Luc Godard, F 1982
PLAYGIRL, Will Tremper, D 1966
PROFESSIONE: REPORTER, Michelangelo Antonioni, IT 1975
RANGIERER, Jürgen Böttcher, DDR 1984
REISENDER KRIEGER, Christian Schocher, CH 1981
SOMBRE, Philippe Grandrieux, F 1998
THE KILLING OF A CHINESE BOOKIE, John Cassavetes, USA 1976
THE OUTFIT, John Flynn, USA 1973
TOKYO DRIFTER, Seijun Suzuki, J 1966
UNE FEMME EN AFRIQUE, Raymond Depardon, F 1985
WANDA, Barbara Loden, USA 1970
WREMENA GODA (Die Jahreszeiten), Artawasd Peleschian, UdSSR 1972