Dienstag, 11.03.2014

50 Jahre Österreichisches Filmmuseum

Wolf-Eckart Bühler, 1980:

„Film – und Vorführen von Film (und überhaupt jeglicher Umgang mit Film) – und Sehen und Hören von Film: das wird in Wien eins miteinander. Mich erstaunt das. Mir kommt das ein wenig so vor, wie wenn heute in Hollywood oder sonstwo einer hinginge und machte Filme wie ein Hawks oder Chaplin oder Astaire sie gemacht hat – aber ohne daß es so aussehen müßte, wie wenn man einer vergilbten Mumie ins bröckelnde Antlitz schauen würde. Was ein Ding der Unmöglichkeit ist. Und obendrein, selbst wenn es möglich sein könnte, ein Schwachsinn wäre. Was also funktioniert in Wien? Und funktioniert so sehr, dass selbst das Sehen und Hören von alten Filmen dort nie und nimmer zu einer Sache der Wehmut und Erinnerung wird, sondern nach wie vor immer eine der lebendigen Gegenwart bleibt?“

Und etwas weiter:

„Es ist der einzig kongeniale Ort geworden für die Vorführung von Filmen, in denen Film und Kino noch nicht sich getrennt haben – bzw. ein Ort, der dafür sorgt, daß eine solche Trennung gar nicht erst stattfindet.“ (Wolf-Eckart Bühler: Michelangelo und Sisyphos. Zur Retrospektive des Österreichischen Filmmuseums 1980, in: Filmkritik, Oktober 1980, S. 472-473.)

Das ÖFM, gegründet 1964 von Peter Konlechner und Peter Kubelka, wird 50 und nimmt dieses Jubiläum zum Anlass für eine beeindruckende Zahl von Aktivitäten: Retrospektiven, Publikationen, Einladungen zu Filmpatenschaften und vieles mehr.

Montag, 10.03.2014

De mortuis nihil nisi bene

Einige Tage nach dem Tod von Philipp Seymour Hoffman (am 2. Februar 2014) fiel mir in einem unsortierten Zeitungsstapel die Wochenende-Stil-Seite der Süddeutschen vom 25./26.Januar in die Hände. Mit großem Unbehagen sah ich, dass der Schauspieler wenige Tage vor seinem Ableben noch Opfer einer Stilkritik geworden war. In der „Ladies & Gentlemen“-Rubrik war er zum Thema „Winterboots“ als derjenige präsentiert worden, der im Gegensatz zur gepriesenen (mir völlig unbekannten) Cara Delevingne, der weiblichen Trägerin eines solchen Schuhs, alles falsch gemacht hatte. Ich werde aus verständlichen Gründen kein Wort daraus zitieren und ich kann mir vorstellen, dass der Autor der Stilkritik sich im Angesicht des kleinen zeitlichen Abstands sicher sehr unwohl fühlte. Im ersten Moment des Nichtbegreifens und Erschreckens dachte ich: Ist es möglich, dass man einen Toten einer solchen Art der Stilkritik unterzieht? Nach der Überprüfung des Datums waren meine unbehaglichen Gefühle immer noch da. Ich musste mich zwingen, die Seite aufzuheben. Aber als eine irgendwie tröstliche Erinnerung, dass tote Stars von solchen Betrachtungen verschont bleiben.

Dienstag, 04.03.2014

Das Turiner Pferd

Am letzten Sonntag sah ich endlich „Das Turiner Pferd“. Im „Filmrauschpalast“ wird der Film von Bela Tarr noch an den nächsten Märzsonntagen in der Matinee um 12 Uhr gezeigt – auf der neuen Panorama-Breitbildwand (OmU). Wer wie ich die Kritikerprosa dazu skeptisch las, und meinte zu wissen, was er verpasst, sollte dem Film eine Chance geben. Allerdings: Das titelgebende Pferd, das den Film so grandios eröffnen darf, ist viel zu selten zu sehen. (So war ich auch von dem Film „Das merkwürdige Kätzchen“ von Ramon Zürcher enttäuscht, denn der Titel versprach mir, die Welt mehr mit den Augen des Tieres sehen zu können.)
Ein Film, der erst einmal stumm macht. So als wäre ich selbst zum bloßen Geschöpf geworden. Dann erinnerte ich mich an einen Text von Reinhold Schneider, „Das Leiden der Kreatur“(1952), in dem er beklagt, wie wenig sich der Mensch seiner Verantwortung gegenüber der Schöpfung bewusst ist. Er zitiert aus Ausnahmen in Wort und Tat, etwa aus einem Gedicht von Annette von Droste- Hülshoff, die von der Last spricht, „die keiner fühlt und jeder trägt“. Und er erinnert daran: „Hölderlin etwa scheute sich, einen Baum zu verletzen. Würde aber, wenn wir dieses ehrfürchtige Verhältnis zum Geschaffenen finden, nicht auch den Menschen geholfen?“ Dies ist die entschieden christliche Sicht, – die sich im Film von Bela Tarr aber hauptsächlich in Verneinungen und Umkehrungen findet.

Mittwoch, 26.02.2014

New Orleans, 26. Februar 1928

Fats Domino

Dienstag, 25.02.2014

Détresse

Es ist natürlich nicht so, dass es in der Spassgesellschaft keine Abgründe mehr gäbe – im Gegenteil. Am Himmel der Tag (Pola Beck, D 2012) ist ein Film, der das leistet: zu zeigen, wie eine junge Frau in einen solchen Abgrund fällt. Wie das benennen? Was ist das für ein Zustand? (Mir fällt dazu das französische Wort ‚détresse’ ein.) Die Architekturstudentin Lara (Aylin Tezel), die man beim Herumalbern mit ihrer Freundin und im Amüsierbetrieb des Nachtclubs sieht, hat kurzen Sex mit einem Unbekannten (der in der Disko hinter der Theke steht) – und wird schwanger. Nach einiger Zeit besinnt sie sich ernsthaft: sie will das Kind austragen, ihr Leben auf die Reihe kriegen (was sie schon mal von ihrer vorherigen Umgebung entfernt). Dass aber das Kind nach sechs Monaten sich nicht mehr rührt in ihrem Bauch, darauf ist sie nicht vorbereitet – das stürzt sie in eine Gemütsverfassung, mit der sie nicht umgehen kann. Das ist wie die Schwärze des Nichts. (Es gibt kein „über-lebens-training im abgrund“.)
Besonders stark deshalb die Szene, in der sie ihr totes Kind in einem Körbchen nochmal in die Arme gelegt bekommt, sich von ihm verabschieden kann. Sie muss das Unglück annehmen, sonst kommt sie nicht darüber hinweg.
(Will der poetisierende Titel des Films Bezug nehmen auf dieses Danach?)

Donnerstag, 20.02.2014

Alle sehen dich an

Rainer Knepperges hat sich hier dem aus dem Film hinaus gerichteten Blick intensiv gewidmet, – als Ausnahme. Bei der Porträtmalerei ist es die Regel. Sind aber in einer Ausstellung nur solche Gemälde versammelt, wie derzeit in der Berliner Alten Nationalgalerie – „Anton Graff – Gesichter einer Epoche“ – ist es eine Überforderung, die mir nicht gleich bewusst wurde. Ich hörte jemand zu seiner Begleiterin sagen. „Es ist anstrengend.“ Einen Raum weiter hörte ich: „Die sehen dich alle an.“ Ja, das ist es, dachte ich, deshalb!
Und wie sie uns ansehen! „Nun aber ist es wichtig zu erkennen, wie sich dieser seelenvolle Blick aus dem strahlenden Herrscherblick des Barock und Rokoko entwickelt hat, aus den großen weit geöffneten Augen der Imperatoren, denen im Rokoko schon eine Dosis von gefallsüchtiger Liebenswürdigkeit, bei den Frauen von koketter Herausforderung beigemischt war. Es bleibt das Geheimnis des Malers, wie er diesen Blick durch stärkere Glanzlichter und Reflexe im feuchten Auge, durch stärkere Entspannung der Augenlider, durch Erweichung der Gesichtszüge überhaupt von dem stechenden Blick zum seelenvoll gütigen umgebildet hat.“ (Richard Hamann)
Nur noch bis zum 23.2. zu sehen. So viele seelenvolle Augen werden so schnell nicht wieder beisammen sein.

Mittwoch, 19.02.2014

* BAZ-IN

[Suchmaschine zu den Texten, die André Bazin zwischen 1941 und 1958 geschrieben hat, eingerichtet von Hervé Joubert-Laurencin & Dudley Andrew]

Sonntag, 16.02.2014

Hinterwäldler

King Vidors Beyond the Forest (1949) kommt mir wie eine Fortsetzung von John Fords Doctor Bull (1933) vor. Hier wie da ein Kaff, das in einer trostlos gewordenen Vergangenheit verharrt, hier wie da untröstliche Frauen, die wegwollen, aber nicht wegkönnen, hier wie da der Zug, der in die Zukunft fährt („Chicago, Chicago, Chicago!“), aber den keine von ihnen besteigen darf, hier wie da ein Armenarzt, der die Stellung hält (bei Ford gespielt von Will Rogers, bei Vidor von Joseph Cotten).

Ein Unterschied besteht darin, dass es bei Ford schließlich einige doch noch in den Zug schaffen und bei Vidor am Schluss eine Leiche auf dem Bahnsteig liegt. Der zweite wesentliche Unterschied, der sich aus dem ersten unmittelbar ergibt, ist, dass an die Stelle von Fords meisterlich ausgeglichenem Stil ein grandios-manieristischer tritt, der an die Filme Sirks, inbesondere Written on the Wind, erinnert. Bette Davis verleiht ihrer Rolle bei Vidor eine ebenso triebhafte, selbstzerstörerische Kraft wie Dorothy Malone der ihren bei Sirk.

Der deutsche Verleihtitel Der Stachel des Bösen kann sich auf den Vorspruch zu Vidors Film berufen: „This is the story of evil …“ Ja, doch das Böse wird hier aus seiner Wurzel, als „Partikularwille“ (Schelling) entwickelt, es ist (tragische) Potentialität. Das heißt, die Frau, die Vidor zeigt, ist nicht ohne Grund böse, wird nicht ohne Grund zur Mörderin. Sie will sich ganz begreiflicherweise verwirklichen, aber kann es nicht. Beyond the Forest schildert gescheiterte Selbstverwirklichung. Es ist, recht verstanden, ein feministischer Film.

Noël Burch weist in seinem Buch De la beauté des latrines (L’Harmattan 2007), das mich überhaupt auf den Film aufmerksam gemacht hat, auf die Szene hin, in der eine neunfache Mutter, deren „Massenzucht“ Rosa Moline (Davis) gerade noch verspottet hat, über sie sagt, sie sei doch immer etwas Besonderes gewesen, „it’s hard on Rosa to be tied to a town like this“.

Burch arbeitet die feministische Lesart der Melodramen Vidors heraus: „In Beyond the Forest wird, wie schon in Duel in the Sun, die Unterdrückung der Frauen mit der der ‚Farbigen‘ in einen Zusammenhang gebracht.“ In Forest gibt es nämlich eine zweite Rebellin, es ist die indianische Hausangestellte der Molines, Jenny (Dona Drake), die Rosa fast aufs Haar gleicht. Sie hat nicht die geringste Lust auf ihren Putz- und Koch-Job und auf die Großtuerei der Dame des Hauses. Das Double Jenny deutet den tragischen Aufstand der Rosa materialistisch. „Sie macht sich lustig über die Rezepte, die Rosa aus Illustrierten ausgeschnitten hat, und ist überhaupt diejenige, die den Finger auf die Entfremdung Rosas legt.“ Diese Entfremdung äußert sich eben auch in kleinbürgerlichen Abstiegsängsten. Sie formen sich in einer alptraumhaften Passage aus, in der es Rosa, die ihren Mann, den Arzt, verlassen hat und endlich in Chicago ihr Glück machen will, in ein Elendsviertel verschlägt.

Jenny ist es aber wiederum, die der unglücklichen Mitkämpferin in deren Agonie beizustehen versucht. Dieser schockierende Schluss, aber auch die Bilder von den Flammen, die Tag und Nacht aus dem Sägewerk des Kaffs schlagen und Rosa nicht zur Ruhe kommen lassen, prägen sich tief ein (Kamera: Robert Burks).

Burch schreibt, dass die Luzidität dieses Meisterwerks sich nicht Vidor allein verdanken könne, der im selben Jahr The Fountainhead, „einen Film von trauriger Berühmtheit“, drehte. Ein Film wie Beyond the Forest  ist immer ein kollektives Werk. Leider vergisst Burch, an dieser Stelle Lenore J. Coffee zu erwähnen, die das Drehbuch schrieb, eine Überlebende jener frühen Zeit des Kinos, die noch von Frauen (als Produzentinnen, Regisseurinnen und Autorinnen) mitbestimmt war.

De la beauté des latrines ist eine polemische Abrechnung mit der herrschenden Kinogeschichtsschreibung, gerade auch der à la parisienne, die Burch mit wenigen Ausnahmen für maskulinistisch und bürgerlich hält (die Bevorzugung von Hawks scheint ihm da ebenso typisch wie die der Coens, von Lynch oder Tarantino). Er überzieht oft, auch frage ich mich, ob er sich immer die richtigen Gegner wählt (sein Titel bezieht sich auf die Autonomieästhetik von Théophile Gautier, der einmal schrieb, Kunst dürfe kein nützlicher Ort sein, denn der nützlichste Ort im Haus sei immer der Abort. Doch wer Gautiers Gedichte liest, etwa die Sammlung Émaux et Camées, wird sie eher elegant als elitär finden. Sie sind insofern nützliche Begleiter, oft liedhaft, durchaus populär). Dennoch ist Burchs Streitschrift höchst anregend, allein schon wegen solcher Analysen wie der der Melodramen von King Vidor.

Donnerstag, 13.02.2014

Night will fall

„Night will fall“ von André Singer am Dienstag auf der Berlinale. Ein Film über einen Film, der nie gemacht werden konnte. Die Idee dazu entstand bei der Befreiung von Bergen-Belsen am 15. April 1945, beim Anblick dessen, was da umzäunt gewesen war. Ich hatte hier schon einmal auf ein 700 Seiten-Buch hingewiesen, das im letzten Jahr erschien, „Der letzte Judenälteste von Bergen-Belsen. Josef Weiss“ von Hans Dieter Arntz, durch das ich die Welt dieses Konzentrationslager von innen kennen lernte. Deshalb ist es überhaupt nicht verwunderlich, dass diejenigen, die die Tore öffneten, diesen Horror noch heute nicht vergessen können. Die Ausrichtung des Films, den der britische Produzent Sidney Bernstein plante aus dem Material zusammenzustellen – das auch bei der Befreiung anderer Lager gedreht wurde – musste sich nach Kriegsende zwangsläufig ändern. Der Film wurde nie vollendet und die Bilder des Schreckens verschwanden in den Archiven. „Night will fall“ ist deshalb auch eine Hommage an Bernstein, dessen Sohn im Publikum war. Als er sich zu Wort meldete, sagte er, dass sein Kinonachbar sofort bei Beginn des Abspanns aufgesprungen sei und ihm das Wort „Verlogen!“ zugerufen habe, um dann zu verschwinden. Er musste sich das erst übersetzen lassen. Aber es war wie ein „Beweis“ dafür, dass den Deutschen nicht genug Filme, wie der von Bernstein geplante, gezeigt worden sind. Aber andererseits auch der Gegenbeweis, weil der gerade gezeigte Film auch nicht durchdringen konnte.

Montag, 10.02.2014

Beschweigen

Die schönste Erinnerung an den im letzten Jahr verstorbenen Dieter Hildebrandt ist für mich der Fernsehfilm „Doktor Murkes gesammeltes Schweigen“, (R: Rolf Hädrich ,1964) in dem er die Hauptrolle spielt. Obwohl der Film großartig ist, sind doch einige Drehbuchänderungen (von Hildebrand) ein Verlust, wenn man die Vorlage von Heinrich Böll (1958) damit vergleicht. In der gleichnamigen Geschichte gibt es eben mehr als nur eine satirische Abrechnung mit dem deutschen Nachkriegsrundfunk. Bölls Geschichte gehört zum Besten, was er je geschrieben hat. Einige „subversive“ Elemente sind in der Fernsehfassung geopfert. Was Doktor Murke mit dem aus den Sendungen herausgeschnittenen Schweigen anfängt, dass es ihm unentbehrlich ist, um sein Leben zu meistern, sich dieses Schweigen am Feierabend anzuhören. dass er sogar seine Freundin bittet, ihm Tonbänder zu „beschweigen“. („Ich kann nicht mehr, es ist unmenschlich, was du verlangst.“ Sagt sie.) Diese Figur kommt gar nicht vor. Und auch eine kleine Nebensache nicht; Als Murke sich der Gepflegtheit des Funkhauses, der geschmackvollen, großzügigen Ausstattung in einem Moment des Überdrusses bewusst wird, überkommt ihn der „Wunsch, das kitschige Herz-Jesu-Bildchen, das seine Mutter ihm geschickt hatte, hier irgendwo an der Wand zu sehen. Er blieb stehen, blickte um sich, lauschte, zog das Bildchen aus der Tasche und klemmte es zwischen Tapete und Türfüllung an die Tür des Hilfsregisseurs der Hörspielabteilung. Das Bildchen war bunt, grell, und unter der Abbildung des Herzens Jesu war zu lesen: Ich betete für dich in St. Jakobi.“ Mit dieser Versicherung endet die Geschichte auch, als der Hilfsregisseur, der das „Geschenk“ gefunden hat, es dem Techniker zeigt, als Rätsel, als „Kitsch“, und dieser den Satz laut liest, völlig verständnislos. Im Funkhaus, wo aus einem Vortrag das Wort „Gott“ siebenundzwanzigmal herausgeschnitten wird, und zwölfmal wieder Verwendung finden kann, als es in ein Hörspiel hinein geschnitten wird, kennt man solche exotischen Bräuche nicht.


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